»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Gefahr, während einem der endlosen Monologe über die korrekte Bestückung eines Getränkewagens oder die Bedeutung freundlicher, je nach Tageszeit und Passagier variierender Begrüßungs- und Abschiedsformeln einzunicken. Regelmäßig wurde getestet, wer die längste Floskelkette von sich geben konnte, ohne sich zu wiederholen: Hallo – guten Morgen – wie geht es Ihnen – willkommen an Bord – schön, dass Sie da sind – danke, dass Sie sich für uns entschieden haben – guten Tag – hi – auf Wiedersehen – bis dann – danke, dass Sie mit uns geflogen sind – ich freue mich, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen – noch einen schönen Abend – bis zum nächsten Mal – tschüs – gute Nacht. Wer dabei mit geschlossenen Augen erwischt wurde, konnte auf der Stelle aufstehen und seine Sachen packen. Ein Hoch auf den Cola-Automaten. Während des Lehrgangs kippte ich das Zeug literweise in mich hinein, um wach zu bleiben.
Einzunicken war nicht der einzige Garant für ein vorzeitiges Ende der Ausbildung. Dasselbe galt für Unpünktlichkeit. Saßen wir nicht zu Unterrichtsbeginn auf unseren Plätzen – auch wenn die Entschuldigung noch so gut war –, mussten wir unser Handbuch neben der verschlossenen Klassentür liegen lassen und unverzüglich dorthin zurückkehren, wo wir hergekommen waren. Keiner von uns wollte wieder nach Hause. Schließlich waren wir hergekommen, weil wir wegfliegen wollten! Aber ein Flugzeug wartet niemals, was im Übrigen auch der Grund ist, weshalb Flugbegleiter die hohe Kunst des Power-Walkings entwickelt haben. Unsere Ausbilder duldeten dementsprechend keine Unpünktlichkeit, auch wenn sie uns die furchtbaren Konsequenzen stets mit einem Lächeln erläuterten. Ich machte mir eifrig Notizen. Die Art, wie sie mit uns redeten, war eine echte Kunst, und ich nahm an, dass sich die Tugend der höflichen Herablassung eines Tages in zehntausend Meter Höhe noch als nützlich entpuppen könnte. Oder waren es zwölftausend? Noch wusste ich es nicht, aber schon bald sollten wir lernen, dass die Flughöhe von einer Vielzahl von Faktoren abhängt – vom Gewicht der Maschine, der Treibstoffmenge, von der Luftfeuchtigkeit, der Außentemperatur und den Windverhältnissen, von etwaigen Turbulenzen und natürlich vom Flugverkehr.
In den meisten Stunden ging es dank unserer Lehrer ziemlich verrückt zu, insofern hätte ich mich wohl nicht wundern müssen, als einer unserer Ausbilder Football-Strategien auf die Tafel skizzierte, um uns den Service-Ablauf zu erklären. Zumindest sah es am Anfang so aus! Mit offenen Mündern verfolgten wir, wie er Linien auf die Tafel zog, die die Passagierreihen darstellen sollten, gefolgt von kleinen Kästchen als Symbol für die Essenswägelchen sowie Pfeilen, die deren Bewegungsrichtungen verdeutlichen sollten. Für jeden Flugzeugtyp gab es mindestens zwei »Spiel-Strategien«, die wir auswendig lernen mussten.
In erster Linie richtet sich der Serviceablauf nach der Maschine, mit der geflogen wird. Es gibt zweiklassige und dreiklassige Flüge und dazu drei verschiedene Servicetypen. Ein zweiklassiger Flug verfügt über eine First und eine Economy-Class (stellen Sie sich an dieser Stelle bitte zwei große Kästchen mit mehreren kleineren darin vor). Ein dreiklassiger Flug hat auch noch eine Business-Class, aber – und das macht die Sache kompliziert – ein dreiklassiger Flug kann ebenso mit einem zweiklassigen Service geflogen werden, wenn die Sitze der Business-Class zum Economy-Preis verkauft wurden. So etwas kommt vor. (Zweimal drei Kästchen nebeneinander mit sechs Pfeilen nach vorn und hinten.) Und mit der First Class verhält es sich noch mal anders. Vielen Passagieren ist nicht bewusst, dass sie bei den meisten zweiklassigen Flügen einen Business-Class-Service in dem Teil der Maschine bekommen, der eigentlich für die First Class vorgesehen ist. Und während ein eigener First-Class-Service auf einem dreiklassigen Langstreckenflug eher die Ausnahme ist, hat er bis auf die Bezeichnung häufig keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Pendant auf einem zweiklassigen Flug, bei dem die Flugzeit kurz und die Tickets billig sind. (Fünf kleine Kästchen in einem großen Kasten. Keine Pfeile.)
Bei vielen kleineren Airlines wird nur ein einziger Maschinentyp geflogen, weshalb die Ausbildung dort erheblich einfacher sein dürfte. Bei meiner Airline dagegen gibt es alle möglichen Flugzeugtypen, deshalb mussten wir auf allen ausgebildet werden – F100,
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