»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Mindest-Crew bezeichnet. Die Extras werden in allen möglichen Zusammenhängen eingesetzt, beispielsweise in ausgebuchten Maschinen auf sehr kurzen Flügen oder auf Langstreckenflügen mit besonders zeit- und personalintensivem Service. Nehmen wir zum Beispiel den Flug New York – Chicago: Die Durchschnittsflugzeit auf dieser Strecke beträgt anderthalb Stunden, jedoch umfasst das lediglich die Zeit in der Luft, ohne das Taxiing von und zum Gate. Eine Mindest-Crew schafft es nie im Leben, in dieser Zeit alle Speisen und Getränke auszugeben und den Abfall einzusammeln, bevor die Kabine für die Landung vorbereitet werden muss. Auch auf der Strecke Dallas – Austin mit einer reinen Flugzeit von fünfzehn Minuten schaffen wir es nur mit Hilfe eines Extras, den Getränkeservice für 140 Personen zu bewältigen. Und da fragen sich die Fluggäste noch, wieso die Besatzung gereizt reagiert, wenn sie sich nicht entscheiden können, was sie zu trinken haben wollen!
Einen Vorteil hat das Ganze: Als Extra trägt man keinerlei Verantwortung. Man muss weder die Ausrüstung checken noch die Bordküche vorbereiten oder die Passagiere auf den Plätzen vor den Notausgängen instruieren. Im Grunde geht man an Bord, sieht zu, dass alle schön angeschnallt sind, macht eine Sicherheitsdemonstration mit und geht dann immer den Kollegen zur Hand, die gerade Hilfe brauchen. Da die Extras von einem Flug zum nächsten springen, werden sie auch nur selten in irgendwelche Crew-Dramen hineingezogen. Natürlich hat das Ganze auch eine Kehrseite, denn man ist ziemlich viel alleine. Ganz nach dem Motto: Rein in die Maschine, raus aus der Maschine. Nach der Landung gehen die Crewmitglieder häufig zusammen zum nächsten Gate, um einen weiteren Flug zu absolvieren, oder sie fahren ins Hotel. Die Extra hingegen verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Nachdem man meistens den ganzen Tag über mit verschiedenen Crews geflogen ist, sitzt man am Abend mutterseelenallein im Hotel. Viele Kollegen machen sich nicht einmal die Mühe, sich die Namen der Extra zu merken, man wird einfach mit seiner Funktion angesprochen – die Extra. »Bist du die Extra?«, »Wo ist die Extra?«, »Sag der Extra, sie soll ein paar Servietten aus der First holen«.
Als die Extra (also ich) an Bord kam und fünf Flugbegleiter in der First Class zählte, dachte ich mir nichts dabei. Wahrscheinlich war ein Kollege darunter, der mitfliegen musste, um zu seinem nächsten Einsatzort zu gelangen. Da es sich gewissermaßen um den Arbeitsweg handelt, stehen diese Leute ganz oben auf der Warteliste und werden sogar dafür bezahlt, einen Passagiersitz zu besetzen. Als ich mich der Crew als Extra vorstellte, grinste mich einer von ihnen hämisch an.
»Du bist nicht mehr für diesen Flug eingeteilt«, eröffnete er mir. Ehe ich erwidern konnte, dass er sich bestimmt irre, erklärte er, dass man ihn in letzter Minute für jemanden gerufen habe, der nicht aufgetaucht sei.
Wortlos stürzte ich aus der Maschine zum Gate, um im Computer meine Flugstrecke abzurufen. Eilig überflog ich die Namen der Crewmitglieder, und siehe da – mein Name war durch den von Edward ersetzt worden. Verwirrt rief ich bei der Zentrale an und nannte meine Personalnummer sowie das Kürzel meiner Basis. Ein Piepsen ertönte. »Flugbegleiterin Poole, Sie haben einen Flug versäumt«, sagte eine Stimme.
»Einen Flug versäumt? Aber wieso denn? Ich stehe doch hier am Gate.«
»Aber Sie haben sich nicht zum Dienst gemeldet.« Mir rutschte das Herz in die Hose. Das war eine Katastrophe. So etwas durfte nicht passieren. Nicht solange ich noch in der Probezeit war, nicht auf meinem allerersten Einsatz.
Bei meiner Airline wird ein versäumter Flug, eine Krankmeldung oder sogar eine zu späte Meldung zum Dienst mit einem Strafpunkt geahndet. Drei Strafpunkte, dann gibt es eine Verwarnung. Drei Verwarnungen, und das war’s. Für mich, in der Probezeit und ohne gewerkschaftliche Rückendeckung, konnte schon ein einzelner Strafpunkt eine sofortige Kündigung nach sich ziehen. Ich war entsetzt und zutiefst beschämt. Was sollte ich meiner Familie und meinen Freunden sagen? Wie soll man jemandem erklären, dass man seinen Job los ist, noch bevor man ihn richtig begonnen hat?
Inzwischen hatte sich eine Schlange vor dem Schalter gebildet. Offenbar hielten die Leute mich für eine Gate-Mitarbeiterin. Ich ignorierte sie und schilderte stattdessen dem Disponenten am anderen Ende der Leitung, was passiert war. Ich erzählte, dass
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