»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Landebahn unter uns. Aber auch das beruhigte mich nicht. Was zum Teufel war in diesem Cockpit los? Waren die Piloten tot? Bei Sun Jet hatten wir vor der Landung immer das Bodenwarnsystem gehört, das die Piloten mit dem Kommando »Pull up, pull up! Terrain, terrain!« dazu aufforderte, die Maschine noch einmal durchzustarten. Daran gewöhnt tönte die Stille wie ein Schrei in meinen Ohren. Ohne die erfahrene Kollegin neben mir hätte ich garantiert panisch nach dem Hörer gegriffen und im Cockpit angerufen. Das wäre allerdings ein Verstoß gegen die sogenannte »Sterile Cockpit«-Vorschrift – und somit das sichere Ende meiner Karriere als Flugbegleiterin – gewesen. Glück gehabt. Es ist nämlich strengstens verboten, während der Landung Kontakt mit dem Cockpit aufzunehmen, die Piloten sollen sich in diesem Moment auf das Wesentliche konzentrieren können und die Maschine sicher auf den Boden bringen. Doch an die köstliche Stille im Cockpit sollte ich mich sehr schnell gewöhnen!
Was die Rocksäume angeht – Mitte der Neunziger trug alle Welt, Passagiere ebenso wie Flugbegleiterinnen, die Röcke und Kleider so kurz wie Heather Locklear in der ersten Staffel von Melrose Place . Verglichen mit der Mehrzahl der weiblichen Fluggäste und meinen Kolleginnen sah ich aus wie eine Amish-Frau, die sich in eine Flugzeugkabine verirrt hatte. Schon bald begann ich mich für meine Uniform zu schämen und fühlte mich wie eine Streberin, die in eine Horde cooler Cheerleaderinnen geraten war. Da half auch die silberne Flügel-Anstecknadel an meiner Uniform nichts (die goldenen bekam man erst nach mindestens fünf Jahren Betriebszugehörigkeit). Ein Blick auf meinen Rock verriet sofort, dass ich noch in der Probezeit war. Die Vielflieger machten sich einen Spaß daraus, mir zu signalisieren, dass sie ganz genau wussten, wo in der Hierarchie ich stand. Einmal stand ein First-Class-Passagier sogar auf, um uns in der Küche zu helfen, als er merkte, dass er von ein paar Anfängerinnen bedient wurde. Anfangs nervte uns seine Besserwisserei, aber als uns dämmerte, dass wir mit unserer Methode noch nicht einmal alle Tabletts rechtzeitig vor der Landung eingesammelt hätten, waren wir ihm schließlich mehr als dankbar für seine Hilfe. Er sammelte nicht nur die Gläser ein, die beim Touchdown unbedingt in den Schränken verstaut sein müssen, sondern half uns auch bei der Ausgabe der sechzehn Mäntel an die anderen Fluggäste in der ersten Klasse. Ehe er zu seinem Platz zurückkehrte und sich anschallte, verbeugte er sich vor seinen Mitreisenden und kassierte deren donnernden Applaus. Und wir spendierten ihm heimlich eine Flasche Wein aus dem Bestand.
Unsere Rocklänge blieb auch bei den Piloten nicht ohne Wirkung. Sie wussten, dass sie von uns Anfängern mit etwas Betteln all das bekommen konnten, was sie einer erfahreneren Flugbegleiterin in einer Million Jahren nicht hätten abluchsen können. Als ich einem Kapitän erklärte, die gemischten Nüsse würden lediglich für die Passagiere der First Class reichen, schlug er vor, doch einfach eine oder zwei aus jedem Schälchen zu klauen. »Das bleibt unser kleines Geheimnis«, fügte er mit Verschwörermiene hinzu.
Noch schlimmer waren die Piloten, die es auf Frischfleisch abgesehen hatten. Weil wir jung und dumm waren und nicht ahnten, welchen Ruf so mancher von ihnen besaß, fühlten wir uns durch ihre Aufmerksamkeit auch noch geschmeichelt. Eine meiner Kolleginnen wurde zu einer echten »Cockpit Connie«. So nennen wir die Mädchen, die sich bevorzugt mit Piloten einlassen. Sie genoss das Interesse an ihrer Person sogar so sehr, dass sie im Gegensatz zu uns anderen auch nach dem Ende der Probezeit weiter in möglichst langen Röcken herumlief, um die Herren im Cockpit abends in ihr Hotelzimmer zu locken. Es gab aber auch Piloten, die beim Anblick unserer züchtigen Rocklänge sofort in den Vater-Modus schalteten und versuchten, uns vor allem zu beschützen, was während eines Flugs schieflaufen kann.
»Wenn irgendetwas unklar ist, fragen Sie ruhig. Und wenn ein Passagier Sie drangsaliert, sagen Sie es mir, dann sorge ich dafür, dass er hinausfliegt. Es ist mir völlig egal, was die Airline dazu meint. Derartige Flegeleien dulde ich nicht«, sagte einer zu mir. Mit solchen Piloten fliege ich bis heute am liebsten, und ich möchte bei dieser Gelegenheit jedem Einzelnen von ihnen für die Unterstützung danken, die wir an anderer Stelle oft nicht bekommen.
Mein schlimmster
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