»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
aufgelöst rief sie mich an.
Wie den meisten Anfängern bereitete ihr die Vorstellung, mit einem Notfall konfrontiert zu werden, keinerlei Bauchschmerzen – all die hierfür notwendigen Abläufe beherrschten wir im Schlaf. Vielmehr hatte sie totale Panik vor dem Service. »Woher sollen wir denn wissen, ob wir auch alles richtig machen?«
»Keine Sorge, du schaffst das schon«, log ich. Schließlich saß ich mitten in der Zentrale und wollte keine Aufmerksamkeit erregen. »Sieh nur zu, dass du dein Handbuch immer griffbereit hast«, fügte ich im Flüsterton hinzu.
Wann immer ich in dieser ersten Woche den gefürchteten Anruf bei der Dispo tätigen musste, flehte ich zum Himmel, dass mir folgende vier Dinge auf keinen Fall passierten:
1. Der Einsatz auf einer Großraummaschine: Die 767, DC 10, MD 11 und der A300 waren riesig im Vergleich zu den Modellen, auf denen ich bislang geflogen war. Sie machten mir Angst. Ganz zu schweigen von den Flugbegleitern, die standardmäßig auf diesen Maschinen eingeteilt waren. Das waren allesamt die dienstältesten Kollegen, die am liebsten unter sich blieben und ziemlich festgefahrene Ansichten über den Ablauf des Service hatten. Einen Anpfiff von irgendeiner Senior-Mama zu kassieren, nur weil ich etwas nicht so machte, wie sie es haben wollte, war so ziemlich das Letzte, was ich in meiner Probezeit gebrauchen konnte.
2. Die Verantwortung für die Bordküche zu tragen: Schließlich hatte ich bei Sun Jet nie mehr als ein paar Getränkedosen und einen Eiskübel auf einen Wagen geknallt. Okay, während des Lehrgangs hatten wir unseren Kurskollegen in imaginären Kabinen imaginäre Getränke serviert, aber niemals richtige Mahlzeiten! Außerdem waren die Bordküchen während der Ausbildung nicht so wie die richtigen gewesen. Wir hatten in der Theorie zwar sämtliche Servicearten durchgesprochen, aber noch nie selbst eine Bordküche dafür vorbereitet!
3. Ein Flug ab Newark: Der Flughafen befand sich ja noch nicht mal im selben Bundesstaat wie New York und war zweieinhalb Stunden von meinem Crashpad in Queens entfernt. Um dorthin zu gelangen, müsste ich zu Fuß zwei Blocks weit zum Bahnhof von Long Island gehen und nach Manhattan gondeln, wo der Bus Richtung Newark abfuhr. Außerdem kostete die Fahrt 30 Dollar hin und zurück, was eine Menge Geld war, wenn man sich noch nicht mal etwas Anständiges zu essen leisten konnte. Ganz abgesehen davon, dass die vier Stunden Hin- und Rückfahrt nicht bei der Berechnung der zwölfstündigen Ruhezeit berücksichtigt wurden.
4. Auf einen Frühflug eingeteilt zu werden: Einer der Hauptgründe, weshalb ich mir diesen Job ausgesucht hatte, waren die flexiblen Arbeitszeiten. Ich bin nun einmal kein Frühaufsteher. Tausend Mal lieber würde ich auf einem Nachtflug arbeiten, als in aller Herrgottsfrühe in einer Maschine stehen zu müssen.
Keine Ahnung wieso, aber irgendwie gingen alle meine Wünsche in dieser ersten Woche in Erfüllung. Ich bekam drei Flüge hintereinander in einer kleinen Maschine zugeteilt. Zu meiner Verblüffung fühlte ich mich sofort pudelwohl an Bord. Die Flugzeuge waren blitzsauber und ordentlich, die Passagiere lächelten und begrüßten einen mit einem freundlichen »Hallo«, und ansonsten war alles so, wie ich es kannte – nur ohne die ständigen Verspätungen, die mit Klebeband fixierten Armlehnen, das blaue Wasser, das aus dem Waschbecken in der Bordtoilette quoll, und all die anderen Widrigkeiten, an die ich mich bei meinem alten Arbeitgeber gewöhnt hatte. Allerdings fielen mir in diesen ersten Tagen zwei fundamentale Unterschiede zu Sun Jet auf: die Stille im Cockpit und die Länge der Rocksäume der Flugbegleiterinnen.
Ich werde nie den Tag meines ersten Landeanflugs vergessen, als ich auf meinem Klappsitz in der Bordküche der First Class saß, nur durch eine dünne Wand vom Cockpit getrennt, und nichts hörte. Absolut gar nichts. Das machte mich ein bisschen nervös. Okay, ich geb’s zu, mir ging die Düse. Ich hatte längst gelernt, auf meinen Instinkt zu vertrauen, deshalb wusste ich, dass hier etwas nicht stimmen konnte! Wieso hörte ich keine Computerstimme aus dem Cockpit? Besorgt sah ich zu der Senior-Flugbegleiterin hinüber – eine alte Häsin, der absolut nichts fremd war, wie ich aus ihren ausführlichen Schilderungen der zahlreichen medizinischen Notfälle schloss, die sie mit Bravour gemeistert hatte. Sie saß seelenruhig auf ihrem Platz und blickte durch das Bullauge auf die Lichter der
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