»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Alptraum sollte in der zweiten Arbeitswoche wahr werden: Ich wurde auf eine DC 10 gesetzt, auch liebevoll Death Cruiser 10, der Todesflieger, genannt. Mit Platz für über 250 Passagiere und einer 15-köpfigen Crew ist die DC 10 ein echtes Monster von einem Flugzeug. In der First Class haben 30 Passagiere Platz, in der Business 50. Ich war eigentlich als Extra eingeteilt, aber kaum war ich am Flughafen, nahmen die Dinge ihren verhängnisvollen Lauf: Die Kollegin, die für die Bestückung der Bordküche zuständig war, meldete sich krank. Da es bereits einen Extra gab (nämlich mich) und es zu spät war, um einen weiteren Flugbegleiter auf Abruf anzufordern, meinte die Dispo, dass wir das Ganze eben so auf die Reihe kriegen sollten. Also suchten sich die Flugbegleiter, gestaffelt nach Dienstalter, nacheinander ihre Positionen aus. Bald dämmerte mir, dass ich als Neuling in der Bordküche im Flugzeuginnern eingesetzt werden würde. Ich bot 50 Dollar, die ich eigentlich nicht hatte, für einen Tausch gegen eine andere Position an. Keiner biss an. Ich erhöhte auf 75. Sie lachten mich nur aus.
»Herzchen«, sagte eine Flugbegleiterin mit hochtoupierten Haaren, »ich habe seit zwanzig Jahren keine Küche mehr von innen gesehen. Genauso wie alle anderen hier. Da wirst du wohl oder übel durchmüssen.« Die anderen nickten zustimmend.
Anscheinend war ich regelrecht grün im Gesicht, denn eine weitere Kollegin meinte mitleidig: »Mach’s einfach so gut, wie du kannst. Die Passagiere werden es schon überleben.«
Darauf wollte ich lieber nicht wetten.
Obwohl ich mich vor Aufregung beinahe übergeben hätte, war ich andererseits wahnsinnig gespannt auf die legendäre Bordküche der DC 10, die unter Flugbegleitern einen ähnlich skandalösen Ruf wie seinerzeit das Studio 54 genoss. Sie befindet sich unterhalb von First und Business-Class im Rumpf des Flugzeugs und kann nur über einen Ein-Personen-Aufzug erreicht werden. Eine Flugbegleiterin bleibt während der gesamten Flugzeit dort unten, unsichtbar für den Rest der Welt. Sie kann im Grunde machen, was sie will: Musik hören. Eine Zigarette rauchen. Mitglied im Mile-High-Club werden. Es gibt allerlei Gerüchte, was für verrückte Dinge sich dort unten schon abgespielt haben sollen. Eine meiner Mitbewohnerinnen schwor Stein und Bein, sie hätte einmal einen Essenstrolley geöffnet, um nach übriggebliebenen Mahlzeiten zu suchen, und darin eine Kollegin gefunden, die sich zusammengerollt hatte und tief und fest schlief.
Am meisten Angst machte mir der Umstand, dass die Bordküche der DC 10 für alle drei Klassen genutzt wird. Bei fast allen anderen Flugzeugtypen verfügt jede Klasse – First, Business und Economy – über eine eigene Küche, für die dementsprechend jeweils eine Person zuständig ist. Denn man darf ja nicht vergessen, dass die Serviceabläufe in den drei Klassen und folglich auch in der jeweiligen Bordküche grundverschieden sind. Zu keinem Zeitpunkt passiert in der einen dasselbe wie in einer anderen. Deshalb muss die Flugbegleiterin in der Bordküche einer DC 10 ihre Aufgabe aus dem Effeff beherrschen, sie allein ist für die korrekte Vorbereitung jedes Wagens für die drei Klassen verantwortlich. Wenn die Passagiere in der Holzklasse ihr Essen bekommen, werden in der Business die Salate serviert und in der First die Vorspeisen abgeräumt. Eine versierte Küchen-Flugbegleiterin denkt stets voraus und bereitet unterdessen den nächsten Serviceschritt für die jeweilige Kabine vor.
Zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere kannte ich mich noch in keiner einzigen Bordküche aus, ganz zu schweigen davon, dass ich drei verschiedene Servicetypen auf einer der größten Maschinen der Welt auf die Reihe kriegen konnte. Ich hatte ja noch nicht einmal gesehen , wie der Service ablief, und jetzt war ich auf einen Schlag ganz allein für dessen Koordination verantwortlich. O Mann, ich hätte liebend gern jeden Kabinenservice der Welt übernommen, inklusive der Dramen, die sich dort abspielten, anstatt ahnungslos in dieser Bordküche festzusitzen. Aber wie Georgia mit ihrer Anfängercrew blieb auch mir nichts anderes übrig, als den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Ich schlug mein Handbuch auf der Seite mit den Diagrammen für die Bestückung der verschiedenen Wagen auf und fuhr, bewaffnet mit einem Paar langer, silberner Küchenhandschuhe, die aussahen, als könnten sie notfalls auch bei einem Einsatz im Weltall benutzt werden, in den Bauch der Maschine.
Als der
Weitere Kostenlose Bücher