»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Aufzug unten ankam, drehte ich vorsichtig den Türknauf und schob die Tür einen Spaltbreit auf. O mein Gott! Mit offenem Mund stand ich in dem fensterlosen Raum und sah mich um. Um mich herum befand sich eine ganze Armee aus Wagen und den dazugehörigen Einsätzen – Millionen davon, allesamt bis zum Rand mit Besteck, Servietten, Gewürzen und Speisen gefüllt. Wahnsinn, all dieses Essen! Und dazu Tausende Gläser! Mein Blick fiel auf das Eis. Bestimmt fünfzig Säcke, die alle noch vor dem Abflug zerstoßen werden mussten. Womit sollte ich bloß anfangen? Sollte ich zuerst herausfinden, wie die Getränkewagen zu bestücken waren, oder besser die Speisen zählen? Mit einem Mal überkam mich ein Gefühl der Enge. Ich musste hier raus, und zwar sofort. Was, wenn ein Brand ausbrach und ich hier unten festsaß? Würde jemand kommen und mich retten? Mein Blick fiel auf etwas, das wie der Griff eines Notausgangs aussah. In welchem Teil der Kabine würde ich wohl herauskommen? Und woher sollte ich wissen, wann ich mich für den Abflug und die Landung auf den Klappsitz setzen und anschnallen sollte? Hörte ich die Ansagen aus dem Cockpit auch hier unten? Ich versuchte, nicht panisch zu werden, und öffnete nacheinander jeden einzelnen Wagen und jedes Fach. Sie waren alle bis zum Anschlag gefüllt. Das war übel. Ganz, ganz übel. Ich war den Tränen nahe und bedauerte schon jetzt die Passagiere, die so viel Geld für ihr Ticket hingeblättert hatten, nur um einen derart miesen Service zu bekommen.
Es gibt zwei Typen von Flugbegleiterinnen: diejenigen, die gern in der Kabine arbeiten, und die, die freiwillig keinen Fuß aus ihrer Bordküche setzen. In der Küche verbrennt man sich die Finger, bricht sich einen Nagel ab und holt sich eine Laufmasche, aber vielen Flugbegleiterinnen ist das tausend Mal lieber, als sich im Service ständig anrempeln, festhalten und herumschubsen zu lassen. Eines können Sie mir glauben – so mancher zudringliche Passagier darf sich über eine Verlängerung seiner Lebenszeit freuen, solange bestimmte Flugbegleiterinnen in ihrer Bordküche bleiben. Einige von diesen entwickeln regelrecht asoziale Züge und sind nach jahrelangem Dienst so in ihrer Routine erstarrt, dass sie es selbst ihren Kollegen nicht erlauben, ungefragt ihr Reich zu betreten. Ich habe gehört, manche würden die Küche vor der Landung sogar abschließen, als wäre sie ihr Privateigentum. Will ein Passagier dreißig Minuten vor der Landung noch eine Pepsi haben – Pech gehabt. Keine Diskussion. Gesetz der Küche!
Die meisten meiner Kolleginnen, die die Bordküche bevorzugen, sind jedoch umgänglich, außerdem hervorragend organisiert und kennen alle nur denkbaren Tricks. Sie können die Folie um den Hals einer Weinflasche mit einer Salatzange abziehen und halten den Kaffee warm, indem sie die Alu-Einsätze aus Keksschachteln über die Kannen legen. Hartnäckigen Champagnerkorken rücken sie zu Leibe, indem sie die Flasche für ein paar Sekunden kopfüber in heißes Wasser halten, und – Plopp! – schon ist der Kir Royal für die First-Class-Passagiere bereit. (Die Fluggesellschaft sieht diesen Trick gar nicht gern, denn wenn er nicht korrekt ausgeführt wird, kann er leicht ins Auge gehen.) Erfreut sich das Balsamicodressing in der Business-Class besonderer Beliebtheit, rührt eine gute Küchen-Flugbegleiterin einen Schuss Orangensaft darunter, um es zu strecken, und beugt somit potentiellen Wutausbrüchen seitens der Passagiere vor. Da die Zahl der Herde, die das Essen warm halten, sehr begrenzt ist, können wir nicht auf Gästewunsch kochen. Will ein Passagier in der First Class sein Steak gut durchgebraten, hat sie genau zwei Möglichkeiten: Entweder sie schlägt ihm seinen Wunsch ab oder sie taucht den Alubehälter mit dem Fleisch in heißes Wasser, bis es den gewünschten Gargrad erreicht hat. Und wieder ein möglicher Anlass zum Ärger vermieden! Haben sich in der warmen Schokosauce Klümpchen gebildet, bekommt man sie mit einem winzigen Schuss Kaffee wieder glatt und geschmeidig. Genau diese Details kennt eine gute Bordküchenfee – die ich zu diesem Zeitpunkt wahrlich nicht war.
In diesem Moment hörte ich sie. Die Stimme. Vielleicht war es Gott, der da zu mir sprach, vielleicht gehörte die Stimme auch nur der Purserette, die gerade ihre männliche Seite hervorkehrte. Egal. Jedenfalls sagte eine tiefe Stimme zu mir: »Das Wichtigste ist, dass du dich mit der Bordküche vertraut machst, Heather.« Und genau das
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