»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
geschlossen.
»Im Flur steht ein Snack-Automat«, informierte mich der Concierge am Telefon.
Erdnussbuttercracker und Chips am Weihnachtsabend – wenn Georgia das erfuhr, würde sie ihr Kündigungsschreiben aufsetzen, so viel stand fest. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um sie ein bisschen aufzumuntern. In diesem Augenblick klopfte jemand an mein Fenster. Mein Herz machte einen Satz. Da! Schon wieder! Klopf-klopf-klopf. Ganz leise. Bumm! Ich warf mich auf den Boden, robbte zum Telefon und wählte die 0.
»Schicken Sie sofort den Sicherheitsdienst hoch!«
Für jede Flugbegleiterin hat die Sicherheit im Hotel oberste Priorität. Wir verraten niemals einem Passagier, in welchem Hotel wir übernachten, und sprechen unter keinen Umständen unsere Zimmernummer laut aus. Entweder wir notieren sie uns gegenseitig auf das Umschlagmäppchen der Zimmerkarte oder wir halten sie unseren Kollegen stumm unter die Nase. Man weiß schließlich nie, wer einem gerade zuhört. Da die meisten Hotels immer dieselben Zimmer für Flugbegleiter reservieren, ist das Hotelpersonal genau im Bilde darüber, wo wir untergebracht sind. Deshalb stehen die Chancen ziemlich gut, dass es sich bei der Bewohnerin von einem dieser Zimmer – die grundsätzlich in der Nähe des Aufzugs, einer Eiswürfelmaschine oder am Ende eines langen Flurs liegen – um eine attraktive Flugbegleiterin handelt. Wer könnte ein willkommeneres Opfer für einen Axtmörder sein?
Sie glauben, ich scherze? In einem Layover-Hotel in Los Angeles wurde eine nackte Flugbegleiterin tot in ihrem Kleiderschrank aufgefunden. Sie wurde erhängt. Aus diesem Grund verbarrikadieren wir, wenn wir uns abends schlafen legen, die Tür grundsätzlich mit unserem Gepäck. Wenn wir unsere Zimmer beziehen, wartet eine von uns draußen auf dem Gang, bis die Kollegin unterm Bett, im Schrank und hinterm Duschvorhang nachgesehen hat. Dann tauschen wir die Positionen. Eine Flugbegleiterin soll sogar auf allen vieren die Tagesdecke angehoben und unters Bett gespäht haben – nur um geradewegs in ein Gesicht zu blicken. Nachdem sie schreiend aus dem Zimmer gerannt ist, hat sie am Ende jedoch festgestellt, dass es ihr eigenes Spiegelbild gewesen war, das ihr solche Angst eingejagt hatte.
Nicht jeder hat so großes Glück. Einige von uns wurden Opfer eines Verrückten, der frühmorgens im weißen Jogginganzug und mit einem Plastikbecher bewaffnet mit dem Aufzug auf und ab fuhr und nach Flugbegleiterinnen auf dem Weg zum Shuttlebus Ausschau hielt. Hatte er eine gefunden, bewarf er sie mit dem Becher, der voll mit einer »weißen, klebrigen Flüssigkeit« war, und rannte weg. Das Ganze zog sich über Monate hin.
Eine Viertelstunde, nachdem ich den Rezeptionisten / Telefonisten / Sicherheitsbeauftragten angerufen hatte, klopfte es endlich an meiner Tür. Ohne die Kette zu lösen, öffnete ich sie einen Spaltbreit und erklärte ihm, was passiert sei. Er versprach mir, einen Rundgang über das Gelände zu machen.
Zwei Sekunden später stand Georgia vor der Tür, eingemummelt und mit rosigen Wangen. »Du musst unbedingt rauskommen. Der Schnee ist herrlich!«
Mir blieb fast das Herz stehen. Ich traute mich nicht, ihr von dem Irren zu erzählen, der dort draußen herumlief und dem sie um ein Haar entkommen war.
Sie kam herein und warf meine Turnschuhe nach mir. »Los, komm, ich habe einen Schneemann gebaut! Den musst du dir ansehen! Hast du nicht mitbekommen, dass ich vorhin dauernd Schneebälle gegen das Fenster geworfen habe?«
Schneebälle, Psychokiller, was auch immer. Knapp daneben ist auch vorbei.
Als Georgia ihren Jack, Jeff, Jake oder wie der Typ hieß, anrief, um ihm frohe Weihnachten zu wünschen, bedankte er sich artig, fragte, ob er sie gleich zurückrufen könne, und legte auf, noch bevor sie etwas erwidern konnte. Eine halbe Stunde später versuchte sie es erneut, aber er ging nicht dran. Während sie auf seinen Rückruf wartete, verputzten wir unser Abendessen aus dem Automaten. Natürlich wäre uns ein Truthahn mit Sauce im Kreise unserer Familie lieber gewesen, doch wir machten das Beste draus und feierten mit ein paar Schachteln Erdnussbuttercracker und Cola light. Ich hätte nie geglaubt, dass ich mal so Weihnachten verbringen würde, aber, nun gut. Wir hatten uns ja einen Job mit flexibler Zeiteinteilung gewünscht, nicht wahr? Das Problem war nur, dass ich mich eher in einer Stadt wie Zürich gesehen hatte und nicht in Buffalo … Entschuldigung, Albany.
Nach der
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