»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
ich sie mir und ging zum Spiegel, um zu sehen, ob sie mir stand. Ich zog mir gerade die Lippen nach, als eine vertraute Stimme hinter mir sagte: »Entschuldigung, aber ich glaube, das ist meine Brille.«
O Mann. Ich schluckte und drehte mich im Zeitlupentempo um.
»Tja, die gehört dann wohl dir.« Ich nahm die Brille ab und reichte sie Gary. »Lange nicht gesehen«, sagte ich und krümmte mich innerlich. Aber mir fiel einfach nichts Besseres ein!
»Was … wie … seit wann bist du …«, stotterte er.
»Seit dem letzten Jahr.« Er sollte nicht wissen, dass ich ihn bei unserem letzten Telefonat belogen hatte, also schob ich gleich noch eine Lüge hinterher. Ich schilderte haarklein, was passiert war, nur unterschlug ich eben ein paar Jahre. Und dann tat ich, was jede Flugbegleiterin tut, wenn jemand es wagt, den geheiligten Boden einer Bordküche zu betreten: Ich bot ihm etwas zu trinken an und hoffte inbrünstig, dass er so schnell wie möglich wieder dorthin zurückkehrte, woher er gekommen war – in diesem Fall zum linken Platz im Cockpit einer Maschine nach Palm Springs. Gary war inzwischen Kapitän. Ich gratulierte und wünschte ihm für die Zukunft alles Gute.
»Wahnsinn, dir ausgerechnet hier zu begegnen, in einer Maschine … und du in Uniform. Du siehst toll aus!«, sagte er.
Ich wurde rot. »Danke. Du auch.« Tat er auch. Sogar noch besser als früher.
Als er seine Mütze abnahm, um sich am Kopf zu kratzen, sah ich das Foto eines kleinen Jungen in Baseballkleidung und mit einem Schläger in der Hand in dem Plastikfach auf der Innenseite. Dort verstauen alleinstehende Piloten ihre Visitenkarten und die Verheirateten die Fotos ihrer Lieben, so lassen sich die Mützen problemlos auseinanderhalten, wenn sie während des Flugs innen an der Cockpittür hängen.
»Und … wieso haben wir wieder den Kontakt verloren?«, fragte er ernst.
»Äh …« Ich wollte ihn nicht verletzen, deshalb starrte ich einen Moment lang auf die Herdklappe und zählte lautlos bis drei, als müsste ich ernsthaft überlegen. Dann sah ich in seine wunderschönen braunen Augen und schob eine weitere Lüge hinterher. »Ich weiß es nicht.« Na ja, was soll ich sagen? Ich hatte mich gerade so gut warmgelaufen.
»Hättest du denn Lust, sich wieder mal … irgendwann?« Ich war fassungslos. Ich hatte über Flugbegleiterinnen gelästert, nicht mehr auf seine Anrufe reagiert, war selbst Flugbegleiterin geworden und hatte ihn darüber belogen, und trotz allem wollte er immer noch mit mir ausgehen? Natürlich sagte ich ja. Schließlich wusste ich ja, dass Gary ein anständiger Kerl war. Ich konnte nur hoffen, dass ich in den letzten drei Jahren erwachsener geworden war und endlich zu schätzen wusste, was er mir zu geben bereit war. Nun, da ich älter und erfahrener und weiter gereist war, hatten er und ich bestimmt sehr viel mehr gemeinsam. Also kritzelte ich meine Nummer auf eine Cocktailserviette und reichte sie ihm.
Aber schon während unseres ersten Dates ließ sich nicht länger leugnen, dass Gary, nun ja, ein Langweiler war. Allerdings war er wahnsinnig nett und höflich, hatte mir Blumen mitgebracht und hielt mir immer die Tür auf. Er gehörte zu den Piloten, die das Gepäck der Crew aus dem Schrank wuchten und aufgereiht in den Gang stellen, damit alle möglichst schnell von Bord kommen. Aber wenn ich nicht gerade redete, stockte die Unterhaltung, was den Abend ziemlich anstrengend machte. Mit meinem Uhren-Fabrikanten hatte ich wenigstens über lustige Anekdoten lachen können, aber Gary kannte die Geschichten, die ich zu erzählen hatte, entweder schon oder hatte von Kollegen längst ähnliche gehört. Andererseits war er so nett und zuvorkommend, deshalb versuchte ich, mich davon nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Als er mich an diesem Abend zurück ins Hotel begleitete, ertappte ich mich zwar dabei, dass ich mich vor dem Gutenachtkuss regelrecht fürchtete. Trotzdem küsste ich ihn, denn ich wollte mich von meinem komischen Gefühl nicht ins Bockshorn jagen lassen. Wie erwartet ließ mich der Kuss vollkommen kalt. Also versuchte ich es noch einmal, diesmal mit etwas mehr Einsatz. Erneute Fehlermeldung: Wir waren einfach nicht füreinander gemacht.
Jahre später drehte sich meine Mutter während eines Urlaubs in Puerto Vallerta zu mir um und sagte: »Ich muss dir etwas sagen.« Wann immer meine Mutter so anfängt, weiß ich, dass mir nichts Gutes ins Haus steht.
»Was denn? Hast du eine Affäre?«, fragte
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