»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Musikgenies. Wenn man Abend für Abend vor einem Saal voller Fans auf der Bühne steht, nimmt man wahrscheinlich auch den Spießrutenlauf zurück in die First Class in Kauf. Ich konnte es nicht glauben, als die Frau mit der Wahnsinnsstimme sich noch nicht einmal die Mühe machte, ihre Frisur wieder zu richten.
Im Lauf der Jahre habe ich noch so manchen anderen Passagier beim Versuch erwischt, dem Mile High Club beizutreten, doch seit zirka zehn Jahren sind die Zahlen eindeutig rückläufig. Vielleicht liegt es daran, dass die Reisenden von heute viel zu beschäftigt mit ihrer Arbeit sind, um Sex in zwölftausend Meter Höhe als erstrebenswert zu empfinden. Vielleicht sind die Passagiere (ebenso wie die Flugbegleiterinnen) auch nur dicker und behäbiger geworden oder haben größere Angst vor Keimen und Bakterien. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, als würden die Mitgliederzahlen abnehmen, weil ich inzwischen zu lange dabei bin, um ausschließlich Nachtflüge zu absolvieren, die bei Club-Aspiranten ganz besonders beliebt sind.
Ein Trend ist mir allerdings aufgefallen: Während die Toiletten vermehrt gemieden werden, vergnügen sich immer mehr Pärchen in ihren Sitzen miteinander. Sie breiten eine Decke über sich aus und kichern und zapppeln und lachen die ganze Zeit. Sobald wir ahnen, was da vor sich geht, laufen wir abwechselnd ganz langsam an den Betreffenden vorbei, um der Sache auf den Grund zu gehen. Meistens lächeln sie unschuldig, als würden sie gerade nicht das tun, was sie unübersehbar tun. Manchmal bemerken sie uns auch erst, wenn wir neben ihnen stehen und uns vernehmlich räuspern. Eine Kollegin von mir beschloss einmal, einem Pärchen das Aufnahmeritual ganz besonders unbehaglich zu gestalten, indem sie die ganze Zeit mit einer eingeschalteten Taschenlampe den Gang auf und ab marschierte. Offiziell verstößt es zwar gegen kein Gesetz, an Bord eines Flugzeugs Sex zu haben, aber es gilt als Ordnungswidrigkeit, den Aufforderungen des Flugpersonals nicht Folge zu leisten. Falls Sie also nicht schleunigst auf unsere Aufforderungen reagieren, kann es passieren, dass Sie gleich nach der Landung von der Polizei in Empfang genommen werden. Stellen Sie sich bloß mal vor, Sie sitzen im Gefängnis und müssen Ihrem Zellengenossen erzählen, weshalb man Sie hopsgenommen hat.
Aber nicht alle Passagiere gehen bis zum Äußersten. Manchen reicht zum Glück schon die Hälfte. Seit ich einmal eine Frau auf der unverschlossenen Toilette erwischte, bin ich sicher, dass eine fliegende Exhibitionistin ihr Unwesen treibt. Denn sie empfing mich splitterfasernackt, mit einem Bein auf dem Waschtisch. Klar, die Leute vergessen oft abzuschließen, aber normalerweise sind sie dann halbwegs angezogen und strahlen einen nicht an, wenn man die Tür öffnet. Drei Monate nach dieser Begegnung fiel mir ein sichtlich aufgewühlter Passagier auf, der von der Bordtoilette zu seinem Platz zurückstürzte. Ich fragte ihn, was passiert sei, worauf er erklärte, in der Bordtoilette stehe eine nackte junge Frau. Auch sie hatte ein Bein auf den Waschtisch gestellt. Zufall? Was meinen Sie?
Eine Freundin von mir beobachtete einen Passagier dabei, wie er hinter der vorgehaltenen Speisekarte eifrig die Brüste seiner Sitznachbarin knetete. Sie beschloss, ihn und sein Tun zu ignorieren. Offensichtlich war ihm nicht klar, dass wir zwar nicht durch Papier hindurch-, wohl aber darüber hinwegsehen können. Genau das sagte ich auch zu dem Mann, der versuchte, sein Pornoheft hinter der Karte mit den Notfallinstruktionen zu verstecken. Die beiden Teenager in der Reihe dahinter, die ihm kichernd über die Schulter linsten, waren ein sicheres Indiz für seine Lektüre. Später begegnete ich ihm, als er mit der zusammengerollten Zeitschrift aus der Toilette kam, womit sich meine Vermutung endgültig bestätigte. Noch bevor ich den Blick von dem belastenden Beweisstück lösen konnte, nahm er – mit seiner hoffentlich sauberen Hand – ein paar Eiswürfel aus einem Behälter und erklärte mir, er sei Produzent für Erwachsenenfilme. Dann reichte er mir eine Visitenkarte und meinte, vielleicht hätte ich ja Lust, in seinem nächsten Streifen, Pearl, eine Rolle zu übernehmen.
»Wie kommen Sie denn auf die Idee?«, rief ich völlig schockiert und kramte geschäftig in meinem Wagen herum, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, während ich auf seine Antwort wartete.
Er griente. »Fünf Riesen für eine Woche Arbeit.«
»Das ist alles?«,
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