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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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ungeduldig. Über sein Gesicht ging wieder jener Ausdruck von Qual und Ungeduld, der sie schon im Boot erschreckt hatte.
    Lege dich nur hin, sagte sie tröstend. Es kommt alles zurecht.
    Er setzte sich mit einem Ruck ganz grade. Wenn auch du nicht die Silberkühe hast, muß ich weiter. Und wie zu sich: Sie sieht aus, als müßte sie sie haben. Aber sie hat sie auch nicht. – Er sah nach der Tür.
    |48| Leg dich doch bloß hin, bat sie nochmal. Das muß dir doch weh tun, das Sitzen.
    Ja, es tut weh, sagte er. Wieso tut es eigentlich weh?
    Jemand hat dich wohl mit einer Forke gestochen? fragte sie.
    Mit einer Forke gestochen –? Dann erinnerte er sich. Ja, ich weiß wieder. In der Nacht. Es waren Hexen, sie wollten mich umbringen, weil ich die schwarzweiße Kuh gesehen habe, eine Hexenkuh. Aber die silberne hatten sie auch nicht.
    Das Mädchen machte einen großen Fehler. Es sagte: Wir haben auch schwarzbunte Kühe.
    Schwarzbunte? Hexenkühe? So sieht sie nicht aus. Und Silberkühe habt ihr nicht?
    Nein, sagte Justine etwas ungeduldig. Und nun leg dich wieder hin, sonst wirst du noch kränker.
    Aber statt sich hinzulegen, nahm er die Beine über den Bettrand. Sein Gesicht glühte von Fieber, seine Augen blickten flackrig. Plötzlich begriff sie, daß er weit fort in tiefem Fieber war, daß er kaum noch etwas sah von seiner Umwelt. Angst faßte sie, sie lief zur Tür, sie rief ins Treppenhaus: Onkel Walli! Tante Bertha! Ernstine! Erna!
    Niemand rührte sich, es war die tiefste Schlafensstunde, die Uhr ging auf drei.
    Als sie sich umwandte, war der Kranke schon auf den Beinen und in den Hosen. Er schien sie nicht zu sehen, er murmelte vor sich hin, aber sie verstand nicht. Sie verstand wohl, in welch schlimmer Lage sie mit ihm war, daß er wirklich fort wollte und daß sie ihn nicht halten konnte. Da verfiel sie in ihrer Besorgnis auf eine List, und sie befragte ihn: Was für Silberkühe sind denn das, zu denen du mußt?
    Er drehte ihr langsam den Kopf mit den tiefliegenden, fieberglühenden Augen zu, er hörte auf, sich weiter anzuziehen, er fragte: Ja?
    Sie wiederholte ihre Frage.
    Friggas Kühe, sagte er. Die heiligen Kühe im Silberhaar, mit dem Silberhuf, mit dem Silberhorn. Er setzte hinzu: Sie geben zwanzig Liter jeden Tag.
    |49| Ja, sagte sie. Und wo sollen die sein?
    Sein Gesicht bekam einen hilflosen Ausdruck. Ich suche, sagte er dann.
    Komm, sagte sie. Leg dich wieder hin. Wenn du erst wieder gesund bist, suchen wir gemeinsam. Und sie legte den Arm um ihn, damit er wieder zum Bett ging.
    Er drückte den Arm fort, als sei er ein dünner Zweig. Ich muß suchen, sagte er, und sein Gesicht sah böse aus. Sie redete auf ihn ein, er antwortete gar nicht mehr. Sie fragte noch einmal nach den Silberkühen, er antwortete gar nicht mehr. Noch einmal rief sie ins Treppenhaus: die schliefen.
    Sie war so hilflos, sie konnte nichts gegen sein Fortgehen tun, ach, sie mußte ihn sogar noch dabei unterstützen. Als sie sah, wie sich seine fieberischen Hände mit den Hosenträgern abmühten, daß er die warme Strickweste anzuziehen vergaß, da half sie ihm. Und als er oben auf dem dunklen Gang nicht zurechtfand, da half sie ihm wieder mit der Lampe. Und sie half ihm weiter, auf der Treppe, auf dem Hof, an dem bläffenden Tyras vorbei.
    Während sie das alles aber tat, dachte sie ununterbrochen darüber nach, wie sie ihm doch helfen könnte. Er hatte vor ihr hilflos wie ein Kind im Boote gelegen und sie hatte ihn an Land gebracht. Sie hatte ihn in Haus und Bett gepackt, er war ihre Sorge, ihre Verantwortung. Schon war sie fest entschlossen, ihn nicht allein gehen zu lassen, so wie sie war, würde sie mit ihm gehen. Irgendwann würde er ja doch umfallen, weit kam er so nicht, und dann würde sie ihn wieder in ein Haus bringen und diesmal würde sie ihn fester halten. Er ging langsam und taumelnd die Dorfstraße voraus, vor sich hin murmelnd. Ganz von selbst hatte er die Richtung zur See eingeschlagen, als röche er sie. Sie zottelte hinterher. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Zuerst verwarf sie ihn als ganz unmöglich, aber er kehrte hartnäckig immer wieder. Sie lief hinter dem Kranken her, der Gedanke nistete sich fester ein, schon erschien er ihr nicht mehr so unmöglich. Sie lief vor, berührte seinen Arm und sagte: Du!
    |50| Er blieb stehen, trotz des Dunkels konnte sie fühlen, daß er sie gespannt ansah.
    Ich will dir die Silberkuh zeigen, sagte sie.
    Sie hörte einen Laut von ihm. Sie hatte solchen Laut noch nie im Leben
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