Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
war.
    Vergebens hatte Stine ihn beschworen, sie doch nur noch ein einziges kleines Mal hinauszulassen, die Angelschnüre hingen doch nun einmal draußen und verkamen, wenn man sie nicht holte. Und sicher hingen Aale daran, und das Pfund grüne Aale brachte auf dem Fischmarkt in Stralsund jetzt einen Drittel Taler!
    Vergebens, nicht einmal das Geld zog, sie könne viel mehr Geld verdienen, wenn sie beim Kartoffelstecken hülfe: Wir sind so hintenran damit, und die Leute lachen schon über uns.
    Aber dann war sie doch nicht zum Kartoffelstecken gegangen, noch dazu an einem so schönen Sonntag, sondern hatte in ihrer Wut und Verzweiflung die alte Waschbalje den Abhang zur See hinuntergetrudelt, und nun saß sie darin und hielt auf den Flunderngrund zu. Bisher war ja alles gutgegangen, und Justine saß achtsam, mit zusammengekniffenen Lippen, in der Butte. Sie wußte: das Schlimmste stand ihr noch bevor, wenn sie die Aalhaken hereinnahm, die Aale von den Haken löste und in den Sack steckte. Dann mußte sie sich bewegen, und was das Waschfaß zu diesen Bewegungen sagen würde, das wußte sie eigentlich auch.
    Nun, aber eine Weile ging doch alles gut. Es war ein schöner Fang, den sie getan hatte, nicht übermäßig groß die Aale, aber gerade so eine schöne Mittelgröße, das Beste fürs Räuchern. Nun aber kam sie an einen Haken, und an diesem Haken saß |44| ja wohl der Ur- und Stammvater aller Aale, ein Biest wie ein Kinderarm und lang wie ein abgebrochener Besenstiel. Paß Achtung, Stine, sagte Stine zu sich und ließ den Aal noch sein Tänzchen im Wasser machen. Dies kann schiefgehen. Den Sack hatte sie hübsch zwischen den Beinen zu liegen, es krabbelte und wand sich ja schon einiges darin, und so konnte sie ihn nicht sofort griffbereit legen, aber sie machte ihn doch mit der einen Hand schon so weit auf, daß sie den Aal nur durch die Sackschnauze zu schieben brauchte.
    Sie sah sich den Aal im stillen, klaren Oberwasser an. Er schlängelte und bäumte sich schrecklich, er kam ihr immer mehr nicht wie ein Aal, sondern wie eine Seeschlange vor, die es auf sie abgesehen hatte.
    Ich muß ihn am Haken in die Balje reißen und erst im Sack losmachen, entschloß sie sich. Nun, ich und Justine, wir werden es schon schaffen. Über ihrer Nasenwurzel stand eine scharfe Falte, ihre braunen, ziemlich buschigen Brauen saßen eng beieinander. Unwillkürlich sah sie auf die See hinaus, nicht daß sie etwa nach Hilfe ausgeschaut hätte, den Gefallen tat sie den dummen Bengels nun doch nicht, nur so …
    Aber da war nichts, die Sonne warf eine blendende, silbern glitzernde Bahn über das Wasser bis kurz vor ihre Balje, und in dieser Bahn schien weiterhin etwas Schwarzes zu sein, irgendein Stück Treibholz. Also denn nicht, und nun den Urvater! Sie zog an der Schnur, holte sie ein und der Aal kam halb aus dem Wasser. Was ein Biest, was ein Bengel, was ein Viech, sicher wog er seine neun oder zehn Pfund – beinahe war sie ärgerlich, daß sie ausgerechnet heute bei der Balje solch ein Vieh fangen mußte! Der Aal tanzte unermüdet und tat manchmal einen kräftigen Schlag gegen die Baljenwand. Sie dachte, er müßte eigentlich einmal müde werden, aber es sah nicht so aus.
    Also denn! kommandierte sie sich selbst, und mit einem Schwung war der Aal auf ihrem Schoß. Aber da bäumte er sich auch schon auf, über der Baljenwand ahnte er wohl das gute salzige Wasser, Stine zog ihn kräftig zur Sackschnauze, |45| der Aalschwanz tat einen hübschen Schlag in ihr Gesicht, der Aalkopf verschwand schon im Sack – Kippel, Kippel machte die Balje eilig, Uff! seufzte das einströmende Wasser …
    Es war eben doch zu lebhaft geworden, nun saßen sie alle im Wasser. Voran schwamm im Silberstreif die Balje, mit dem Boden nach oben, hinterher paddelte mit einem Arm Justine, in der andern Hand die Aalschnur und an der Schnur saß der Aal. Der Haken jedenfalls hatte festgehalten.
    Justine war viel zu sehr Tochter der See, um nicht zu wissen, daß sie unmöglich die zwei Kilometer bis zum Strande schwimmen konnte. Auch die Waschbütte war wohl aufzurichten, aber hineinzukriechen war da nicht, das hieße nur sofort wieder umkippen. Eigentlich war also Justine zum Tode des Ertrinkens verurteilt, und daß das nicht ganz der angenehme Tod (mit Rückerinnerung an das ganze Leben) sei, wie er in manchem Buch so schön beschrieben steht, das wußte sie von dem und jenem Fischer, den man schon besinnungslos aus den Wellen geholt hatte.
    Aber an Ertrinken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher