Wir hatten mal ein Kind
dachte Justine nun freilich nicht. Zuerst dachte sie an ihre Kledagen, und mit ein paar festen Griffen holte sie sich die Röcke von den Beinen. Darüber ging der Urgroßvater flöten. Beest! sagte sie nur. Das Nächste war die friedlich schaukelnde Waschbalje, und mit zehn Schwimmstößen hatte sie die eingeholt. Sie schob sich das Ding, so bequem es eben ging, unter Brust und Bauch. Es trug sehr hübsch, zu schwimmen hatte sie nun nicht mehr, aber das Wasser blieb trotzdem saukalt, ja es wurde immer noch kälter, so schön die Sonne auch darauf glitzerte.
Bei diesem Glitzern der Sonne fiel Justine das Treibholz ein, und da sie jetzt durch die Butte etwas höher über dem Wasser lag, so sah sie, daß es gar kein Treibholz war, kein von der Deckslast irgendeines Schwedenschoners heruntergerissenes Grubenholz, sondern ein Boot, und ein leeres Boot, schien es, dazu.
Nun, hierauf haben wir ja schon einige Zeit gewartet, und jetzt sind wir recht froh, daß Justine ihren leeren Kahn gesichtet |46| hat und auf ihn zuschwimmt und hineinsieht und dort auf dem Boden besinnungslos in Blut, Dreck und Sickerwasser ihren künftigen Gemahl entdeckt. Da haben wir den Salat, dachte sie verdutzt, und Onkel Walli fiel ihr sofort ein, der gleich sagen würde, daß so etwas nur beim Herumstreunen auf dem Wasser vorkommen könne.
Aber nach dieser anfänglichen Betrachtung hatte sie ja erst einmal für die nächsten paar Stunden zuviel zu tun, um sich weiteren beschaulichen Erwägungen hinzugeben. Manchmal ist es selbst vom Kinderstandpunkt aus ganz gut, wenn Eltern, Pastoren und Vormünder überängstlich mit ihren Schäflein sind. Justine wenigstens fand es für diesmal ganz schön, daß der liebe betrübte, zornige, dicke Onkel Walli am Solkendorfer Strand auf und ab lief, ganz wie eine Glucke, der man Enteneier zum Ausbrüten untergeschoben hat und die nun fassungslos ihre eigene Nachzucht abschwimmen sieht. Als die Flotte einfuhr – die Waschbalje natürlich im Kielwasser –, wollte der Vormünder wohl blitzen und donnern und spucken, aber Justine sagte bloß: Kiek eins, Onkel Walli! – Und da dachte Onkel Walli, als er den besinnungslosen, aber ansehnlichen jungen Menschen liegen sah, vielleicht genau wie Justine vor einer Stunde: Da haben wir den Salat!
Aber auch hier war wieder zu Betrachtungen wenig Zeit, und keine zehn Minuten, da zog auf einer improvisierten Bahre der junge Gäntschow in Justines Hof ein. Onkel Walli aber hatte sogar an einen Rock für das junge Mädchen gedacht, sie hätte es ja wohl rein vergessen, in welchem Aufzug oder Auszug sie da einherging.
Wenn aber nun Onkel Walli geglaubt hatte, er könnte jetzt den so geheimnisvoll Verletzten dem Doktor Benzin und den alten Tanten des Hofs überlassen, so war er wieder einmal falsch davor gewesen: Justines Platz war an diesem Bett. Sie hatte ihn gefunden. Während sie den Kahn mit ihrem kleinen Tröpfelruder heimwärts trieb, hatte sie den ganzen Weg lang einen recht guten Ausblick auf den jungen Mann |47| gehabt. Da hatte er so gelegen, bleich, mit einem fast strengen Gesicht, das dichte dunkle Haar in der Stirn.
Gesprochen hatte er auch, aber es waren fliegende, flüchtige Worte gewesen, nur den Ton von Angst und Ungeduld hatte sie erfaßt. Nein, er war ihr Heimbringsel, und die alten Tanten mochten
vor
der Krankenstube tun, was sie wollten,
in
ihr hatte sie das Wort. Und der Kranke. Sie das leise, er das laute.
Je weiter die Nacht vorrückte, um so mehr, um so heftiger sprach er. Er mußte es bei geschlossenen Augen in den Gründen des Fiebers fühlen, daß er nicht mehr in einem von den Wellen gewiegten Kahn saß, sondern in einem Bette lag. Ja? fragte sie wohl, über ihn geneigt, wenn er gar zu ungeduldig sprach. Wohin willst du?
Nichts, unkenntliche Wortfetzen. Die Hände laufen über die Bettdecke, Justine hat es, erst bei ihrem Vater, dann bei ihrer Mutter gesehen, daß die Hände so unruhig werden, die Sterbenden graben sich ihr Grab, sagt man. Sie nahm die beiden festen, gebräunten, verarbeiteten Hände zwischen die ihren. Erst suchten sie zu entwischen, dann beruhigten sie sich, das wilde Reden wurde seltener, er schlief wohl ein. Auch sie schlief ein.
Sie erwachte von seinem Blick. Er saß halb aufrecht im Bett und starrte sie verwundert an. Seine Stirn war zusammengezogen, als denke er fast schmerzhaft nach.
Bist du wach geworden? fragte sie.
Hast du die Silberkühe? fragte er.
Die Silberkühe?
Ja doch, die Silberkühe, sagte er
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