Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
und Dunkel stürzt. Rechts und links , oben und unten Fratzen , Grimassen , Bilder von Greueln , Schandtaten , entfesselte Wünsche , Schreckgestalten , die aufgewirbelten Ablagerungen vom Seelengrund , Faulschlamm. Echos von Grauen , von Lust. Flüche , Hohnlachen. Statt daß er in die Stille geleitet wird , aus allen Richtungen die Schreie der Verworfenen , Gebrüll von Dämonen , die in Schweine fahren. Arme und Hände sind ihm genommen , er sieht sie nicht einmal mehr. Da ist nichts , was den Kopf umschließen , Ohren , Gehörgänge , Trommelfelle zuhalten könnte. Kein Kissen , nichts Weiches , Nachgiebiges , um hineinzukriechen , sich zu bedecken. Nackt und bloß rast er durch leere Unendlichkeit zunehmender Finsternis entgegen , friert zu einem Stoff , härter als Eisen und Stein , stürzt in das lichtlose Feuer , dessen Brennstoff erstarrte Seelen sind , unsterbliche Seelen , geschaffen aus der Fülle des Seins für unendlichen Lobpreis aus einer Substanz , die niemals verlöschen wird. Bis in Ewigkeit muß er die Flammen nähren. Keiner wird kommen , die Qual zu verkürzen , ihn herauszulassen aus sich selbst , und sei es für einen Moment. Es braucht kein strenges Richtergesicht , weder Waagschalen noch Schuldsprüche: Er hat sich selbst zu dieser Isolation verurteilt , verurteilt sich wieder und wieder dazu , Höllentag für Höllentag.
Einzelne Tropfen , die vom Gaubendach auf das kupferne Fensterbrett schlagen. Er meint , sie auf der Haut zu spüren. –
Glasklar liegt alles vor ihm: das Leben , das er gelebt , der Wille , dem er gehorcht hat. Nichts war gut. Er hat es nicht geschafft , dem Ruf des Herrn zu folgen , sich der Gnade zu öffnen. Zu schwach , der Glaube – keine Liebe. Statt dessen Gier nach Besitz , Macht , nach Lust mit Frauen , Lust an Grausamkeit. Keine Rücksicht. Wie ein Brandzeichen ist das Böse in seine Seele geschrieben.
Seit er sich an sich erinnert und lange , bevor er gesündigt hat , sich die Sünde überhaupt nur vorstellen , sie wollen , suchen , tun konnte , weiß er , daß er verworfen werden wird: Er stand vor dem Haus seiner Eltern neben der hohen Zeder auf dem Rasen im Vorgarten , fahles Licht wie vor Sommergewittern , sah seine Mutter , seinen Vater , wie sie Einkaufstaschen , Getränkekisten aus dem Kofferraum holten , war wütend , hatte keine Lust zu helfen , und auf einmal verschloß sich der Himmel. Er stand da in vollständiger Abgeschiedenheit , getrennt von allen anderen Wesen. Mochten sie noch so sehr behaupten , ihn zu lieben: Es drang nicht zu ihm durch , und er trug die Schuld daran. Etwas in ihm hatte sich verkapselt , hatte entschieden , allein zu sein. Sein Gesicht lächelte , wenn die Mutter ihn rief , sein Mund sonderte nette Worte ab , wenn der Vater › mein Sohn ‹ sagte. Es waren Lügen , kalt berechnet , um Vorteile zu erlangen , um besser dazustehen. Er war vollständig falsch. Immer.
Aber wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz.
Er kneift die Augen zusammen , sieht im dunkleren Dunkel Lichtpunkte hinter den Lidern , Ewigkeitsmuster wie Galaxien verlöschen , entstehen , verlöschen.
Er will sich nicht in diesem Leben , nicht als den , der er ist. Aber niemand hat ihm gezeigt , wer er werden würde , hat gefragt , ob er zustimmt , bevor er gezeugt , erschaffen wurde , das Fleisch von den Eltern , die Seele von Gott. Was für eine Freiheit soll das überhaupt sein , wenn er sich nicht dafür entscheiden kann , weder Freiheit noch Unfreiheit zu wollen , sondern nur einen Wunsch hat: heraus aus dieser Hölle , die nicht die anderen sind , sondern er selbst , zurück in das Nichts , bevor es ihn gab.
Er steigt aus dem Bett , hebt die Matratze an , den Lattenrost unter der Matratze , holt das Bündel Wäscheleine aus dem Kasten , streicht die glatten , mit einer Kunststoffschicht ummantelten , im Nachtlicht durchsichtig grauschimmernden Schnüre entlang. Der Geruch von frischem Plastik.
Wenn es aber nicht einmal Sinn hat , sich an einem Baum aufzuknüpfen wie Judas , nachdem er den Herrn für dreißig Silberlinge verkauft hat , was dann?
Ein zerknirschtes Herz ist Gott wohlgefällig.
Zweifellos ist sein Herz zerknirscht.
Das muß Er doch sehen , der Herr , sein Gott , der ihn ganz verlassen hat , wie zerknirscht sein Herz ist.
Er wirft die Leine gegen die Wand , ein Klatschen , als wäre sie etwas Lebendiges.
Nicht erst seit Wochen , seit Jahren weiß er , was es hieße – geheißen hätte , Glauben zu
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