Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

wir unter größten Mühen versucht haben , ihm beizubringen. Und ab Sommer bist du in St. Gallen. Von dort wirst du auch nicht jedes Wochenende hier in die Gegend kommen.«
    »Wir können uns Briefe schreiben.«
    »Ah. Sehr gut! Du nimmst die Tradition des Lehrschreibens in der Nachfolge des Apostels Paulus wieder auf: Timotheus , bewahre , was dir anvertraut ist , halte dich fern von dem gottlosen Geschwätz und den falschen Lehrern der sogenannten › Erkenntnis ‹ . – Und du , Pacher? Hast du Hoffnung im Hinblick auf dich? Aber wahrscheinlich bist du einfach nur froh , wenn er weg ist mit seinem Moralismus und seiner krankhaften Eifersucht , weil dich dann endlich niemand mehr davon abhält , deinen Triebimpulsen nachzugeben.«
    Er zuckt mit den Achseln.
    »Oder würdest du sagen , die Freundschaft mit Bernhard hat deine Christusliebe so sehr wachsen lassen , daß sie dem Sturm der Leidenschaften standhält?«
    »Hast du meine Mitteilung am schwarzen Brett nicht gesehen?«
    »Sollte ich?«
    »Hängt in allen Häusern.«
    »Und was tust du uns dort kund?«
    »Daß ich meine Plattensammlung verkaufe.«
    »Schön. Warum nicht.«
    »Die Stereoanlage auch: Verstärker , Tuner , ein sehr gutes Tapedeck. Boxen. Suchtest du nicht neulich Kopfhörer?«
    »Danke , ich bin quasi schon ausgezogen , muß mich also nicht mehr gegen den akustischen Terror meiner Zimmernachbarn zur Wehr setzen. Aber abgesehen davon: Was hat das mit der Frage nach deiner geistigen Weiterentwicklung zu tun?«
    »Ich werde das Geld spenden.«
    »So?«
    »Den Armen.«
    »Und an wen hattest du da gedacht? Den Penner , der immer in Forch vor dem Aldi sitzt?«
    »Vielleicht an eine Indianerinitiative in Brasilien.«
    »Das klingt , als hätte unser Freund Stefan Lenders seine Finger im Spiel.«
    »Ach was« , knurrt Kuffel. »Lenders ist ein Bürgersöhnchen , das mit Boff und der Befreiungstheologie sympathisiert , weil es gerade chic ist. Starke Glaubensentscheidungen sind ihm völlig fremd.«
    » Verkaufe alles , was du hast , gib das Geld den Armen und folge mir nach , fordert Jesus .«
    »Vorher heißt es allerdings: Wenn du aber vollkommen sein willst …«
    »Ja. Und?
    »Du strebst also Vollkommenheit an.«
    »Das sollte man doch , als Mensch.«
    »Was hältst du von dieser Idee , Bernhard? Ist das auf deinem Mist gewachsen?«
    »Ich habe ihm weder zu- noch abgeraten.«
    »Es klingt schon überspannt , findest du nicht?«
    » › Lebe das , was du vom Evangelium verstanden hast , und wenn es noch so wenig ist. ‹ «
    »Wer sagt das?«
    »Frère Roger , der Gründer von Taizé.«
    »Gut , er ist , theologisch gesehen , nicht wirklich eine relevante Größe für uns. – Opgenhoff war Ostern übrigens in Taizé. Er hat erzählt , daß die Macht der Liebe dort in der Tat sämtliche Grenzen überschreitet. Vor allem nachts in den Schlafsäcken. – Verkaufst du dein Aquarium auch?«
    »Das Aquarium natürlich nicht.«
    »Ich schließe daraus , daß du die Verwirklichung vollkommener Vollkommenheit doch noch ein Stück hinausschiebst.«
    »Meine Fische und die Musik – das hat für mich absolut nichts miteinander zu tun.«
    »Ich weiß , du stehst mit Vernunft und Logik auf dem Kriegsfuß , aber wenn du solche schwerwiegenden Entschlüsse faßt , sollten wir trotzdem versuchen , das Ganze objektiv zu betrachten.«
    »Glaube ist nie objektiv.«
    »Es geht doch bei so einer Verzichtsentscheidung im wesentlichen um zwei Dinge. Erstens will man sich vom Irdischen lösen , und dann – zweitens – auf dem Weg zur höchsten Wahrheit ein Stück weiter vorankommen. Richtig?«
    »Schon.«
    »Die Sache mit der Loslösung dürfte schwerlich klappen , wenn du das , woran dein Herz von allen irdischen Dingen am meisten hängt , zurückhältst. Und was die Annäherung an die Wahrheit anlangt , würde ich sagen , daß du durch die Musik – jedenfalls , wenn du Bach oder Bruckner hörst – zumindest auf einer unteren Stufe ein Stück weit in die Welt der Verehrung und Anbetung emporgehoben werden kannst , wohingegen diese Fischgefängnisse – das ist doch nun wirklich ein Hobby für Spießer.«
    »Das ist kein Hobby , sondern wissenschaftliche Arbeit , auch wenn du das vielleicht lächerlich findest. Alle Beobachtungen , die ich mache , werden genau notiert: Datum , Uhrzeit , Wassertemperatur , Ph-Wert , Härte. Manche Sachen zeichne ich auch , und demnächst kommen noch Photos dazu , so daß eines Tages eine vollständige Verhaltensstudie von Macropodus