Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
verheimlicht.
Hier hat das Papier wellige Stellen. Beim Schreiben konnte sie die Tränen nicht zurückhalten. Mehrere Wörter sind unleserlich von verwischten Tropfen , überschrieben , durchgestrichen.
Drei Tage nach unserer Rückkehr aus Lenza – vier Wochen ist das jetzt her , wenn ich richtig gezählt habe – stand Jan bei meinen Eltern vor der Haustür. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Er hielt in jeder Hand einen Blumenstrauß: Einen für mich ( rote Rosen ) und einen für meine Mutter ( Nelken ) und sagte: › Darf ich reinkommen? ‹ Ich habe erst mal nur Müll gestammelt , so überrascht war ich. Normalerweise bringe ich einen neuen Freund ja nicht gleich zu meinen Eltern. Bevor ich mir diesen Streß antue , muß ich selbst erst mal wissen , wie ernst es ist. Aber meine Mutter riecht solche Sachen natürlich und kam gleich aus der Küche. Anders als sonst bei ›Herrenbesuch‹ war sie die Freundlichkeit in Person , hat Jan gleich hereingebeten , Kaffee gekocht. Dafür , daß es eine ziemlich ungewohnte und komische Situation für alle war , lief es erstaunlich gut. Danach sind Jan und ich spazieren gegangen. Unterwegs hat er meine Hand genommen und gesagt , daß er gerne mit mir zusammensein möchte , und ob ich mir das vorstellen könnte. Nachdem er beim Abschied in Kahlenbeck auf dem Parkplatz so förmlich war , hatte ich gedacht , daß ich nie wieder etwas von ihm hören würde. Aber Du kennst ihn ja: Wenn er will , kann er absolut unwiderstehlich sein , und ich dumme Gans in meiner Überraschung und Freude war blind für alles andere. Also ist es dann so gekommen. Meine Eltern fanden ihn seltsamerweise auch toll , trotz seines › wilden Äußeren ‹ – wie meine Mama sich ausdrückte – , weil er so höflich ist und so gute Manieren hat. Zweieinhalb Wochen lang ist Jan fast jeden Abend zu uns gekommen. Er hat mich zum Pizza-Essen eingeladen , ins Kino , wir sind auf den Kalvenberg gefahren , um uns den Sonnenuntergang anzuschauen. Jan hat sich sogar entschuldigt , daß er in Lenza manchmal so schroff und abweisend zu mir gewesen ist. Das war , weil Euer komischer Präses zu ihm gesagt hat , daß er sofort nach Hause fahren kann , wenn ihm zu Ohren kommt , daß er etwas mit der ›Küchenthusnelda‹ anfängt. Er wollte mir auch beim Umzug helfen , aber im Wohnheim , das ja von Schwestern geleitet wird , herrschen wieder diese Anstandsregeln , da wäre es sicher nicht gut angekommen , wenn ein junger Mann mir die Kisten getragen hätte. Ich habe ihm natürlich geglaubt und bin davon ausgegangen , daß er jetzt , wo wir freie Menschen sind , all das , was er tut , wirklich ernst meint , weil er mich liebt.
Und dann , vor zwei Wochen , ist Jan von einem auf den anderen Tag verschwunden. Keine Vorankündigung , kein Wort des Abschieds – einfach weg. Nach vier Tagen habe ich in meiner Verzweiflung seine Eltern angerufen , weil ich dachte , daß ihm etwas zugestoßen ist , ein Unfall oder eine Krankheit. Er hatte mich ja noch niemandem von seiner Familie vorgestellt , sie wußten vielleicht gar nicht , daß es mich gibt. Aber offensichtlich hatte er seinen Eltern sehr wohl Anweisungen gegeben , was sie mir sagen sollten , falls ich mich melden und nach ihm fragen würde. Sein Vater war jedenfalls extrem komisch , faselte etwas wie: »Junge Frau , es tut mir leid , aber Ihr Name ist mir bislang nicht zu Ohren gekommen. Mein Sohn ist umgezogen , und ich weiß nicht , ob ich befugt bin , Ihnen seine neue Adresse mitzuteilen. Ich werde ihm ausrichten , daß Sie angerufen haben. Wenn er mit Ihnen in Kontakt treten möchte , wird er sich bestimmt melden.« Und dann hat er aufgelegt. Kannst Du Dir das vorstellen?
Seitdem frage ich mich ständig , ob ich irgendwelche Anzeichen übersehen habe , daß er mich nur als Spielzeug benutzt , damit ihm nicht langweilig ist , bis er seine holländische Musikerin gefunden hat. Die Freunde , mit denen ich vor ihm gegangen bin , waren auch nicht aus purem Gold , aber irgendwie stimmte das , was sie gesagt haben , doch meistens mit ihren Taten überein.
Nach dem , was Du mir über Deine Geschichte mit dieser Regina angedeutet hast , kannst Du Dir sicher vorstellen , wie ich mich seitdem fühle: fett , häßlich , einfach total wertlos. Und dann hat vor fünf Tagen meine Arbeit im Krankenhaus begonnen. Einerseits bin ich zwar froh darüber , denn so werde ich von den dunklen Gedanken abgelenkt , die über mich herfallen , sobald ich anfange , über mein Leben
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