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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Jungfräulichkeit gealterten Damen doch zuhauf kennen: Sie sind ein bißchen verdattert , neigen zu abstrusen Vorlieben … Die Gräfin Warnstorf zum Beispiel lebt mit einem Kefir zusammen , der ihr genauso viel Aufmerksamkeit abverlangt , wie es ein Ehemann täte. Deshalb nimmt sie seit Jahren nicht mehr an wissenschaftlichen Konferenzen teil , weil: Wenn sie länger von zu Hause fort ist – wer kümmert sich dann um den Kefir?«
    »Was ist ein Kefir?«
    »Ein Kefir ist ein fieses , schwabbeliges Ding , das Milch geordnet vergammeln läßt. Sieht aus wie ein weißes Krebsgeschwür , wuchert auch so und scheidet dabei eine Art dünnflüssigen Joghurt aus. Dieses Getränk soll der Grund sein , weshalb es im Kaukasus die höchste Dichte an Hundertjährigen gibt.«
    »Ich dachte in Japan.«
    »Im Kaukasus. Das Problem beim Kefir ist: Nach ein paar Tagen ohne frische Milch oder unter falschen Temperaturbedingungen stirbt er ab. Deshalb kann die Gräfin nicht länger von zu Hause weg. Also bleibt sie auf ihrem sauerländischen Hügel hocken und wartet , daß Leute zu ihr kommen.«
    »Verstehe.«
    »Solche Marotten sind typisch für Juffern.«
    »Gleichzeitig ist sie dickköpfig wie ein alter Bock. Es muß alles immer exakt nach ihren Vorstellungen ablaufen , was dazu führt , daß sie niemanden findet , der geeignet wäre , ihr bei der Organisation der Heinrich-Erkenschwick-Akademie zu helfen: In ihren Augen begreift niemand , was das Kernproblem unserer Zeit ist und mit welchen Strategien dagegen vorgegangen werden muß – außer ihr selbst natürlich und vielleicht noch dem Kardinal.«
    »Paulus hat diese Richtlinien für das korrekte Verhältnis von Mann und Frau ja nicht einfach aus einer Laune heraus geschrieben , dem lagen Jahrtausende an entsprechenden Erfahrungen zugrunde …«
    »So sind deine Damen aber nicht , oder? – Sie gehorchen zumindest dem Pfarrer?«
    »Tante Ria geht ein bißchen in diese Richtung.«
    »Und was willst du von denen?«
    »Ich helfe im Garten aus. Wir unterhalten uns.«
    »Über geistliche Dinge , nehme ich an – das Geheimnis der Transsubstantiation , oder wie das unvermischt und ungetrennt der beiden Naturen Christi richtig zu verstehen ist?«
    »Ich hab’ doch gesagt , daß sie eher so eine einfache Frömmigkeit haben und sich nicht mit theologischen Spitzfindigkeiten …«
    »Was heißt hier Spitzfindigkeiten? Das sind Glaubenssätze von fundamentaler Bedeutung. Wer sie nicht in Demut annimmt , stellt sich außerhalb der Kirche. Und – wie du ja weißt: extra ecclesiam nulla salus – außerhalb der Kirche kein Heil. Das bedeutet de facto , daß jemandem , der sich vor der einen Wahrheit verschließt , die ewige Verdammnis droht. Dinge , die solche Konsequenzen nach sich ziehen , willst du doch nicht ernsthaft als Lappalien abtun.«
    Holzkamp schaut ihn über den Brillenrand an.
    »Ich wollte gar nicht sagen , daß diese Dogmen unwichtig sind , aber für den Alltag der einfachen Gläubigen …«
    »Gut , lassen wir es dabei. Was mich viel mehr interessiert , Carl … Verstehst du dich eigentlich gut mit alten Damen?«
    Carl ahnt , daß Holzkamp ihm eine Falle stellt und daß er hineintappen wird , überlegt hektisch , was die richtige Antwort ist , weiß weder , wie die eine , noch , wie die andere gegen ihn ausgelegt werden könnte , denkt an seine verstorbene Großmutter , ihre sieben exzentrischen Schwestern , die ihn gern mochten beziehungsweise immer noch mögen , sagt: »Grundsätzlich schon. Glaube ich.«
    »Interessant. Nicht wahr? Was meinst du dazu , Bernhard?«
    Kuffel kichert.
    »Wieso?« fragt Carl. »Versteht Bernhard sich nicht gut mit alten Damen?«
    »Bernhard liebt alte Damen. Wobei es in seinem Fall nicht auf Gegenseitigkeit beruht …«
    »Und was soll daran interessant sein?«
    »Die meisten Invertierten verstehen sich gut mit alten Damen …«
    Erneut brechen beide in Gelächter aus.
    »… insofern ist Bernhard nicht typisch.«
    Carl versucht sich an die Bedeutung des Worts Invertierte zu erinnern. Über die Ferien ist er aus der Übung gekommen , was den Gebrauch von Fremdwörtern anlangt. Er meint , es hieße etwas wie zurückhaltend , in-sich-gekehrt – das wäre ein Kompliment.
    Holzkamp kommt zu Atem , fragt: »Du weißt , was Invertierte sind?«
    »Ja , sicher: Leute die nicht so viel reden , nicht so viel Aufhebens um sich machen …«
    »Eigenschaften , die dir leider Gottes völlig abgehen. – Nein , du verwechselst es mit intro-vertiert . Damit

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