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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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der Hosentasche verschwunden ist , nimmt sie , lächelt , sagt gleichfalls »Hallo«.
    Es klingt falsch aus seinem Mund: »Ich habe mich so auf dich gefreut.«
    »Ich auch.«
    Ihm ist schwindlig , er wird rot von einem Gedanken , der es nicht ins Bewußtsein schafft und trotzdem nicht hätte gedacht werden dürfen. Etwas ist anders , stimmt nicht – ein Schock: Sie hat ihre Haare abgeschnitten. Erneut verrutscht sein Gesicht , ein Erschrecken , das furchtbarer aussieht als es gemeint ist. Im Grunde spielt es keine Rolle , außer daß sie wohl niemals ihren langen dicken Zopf für ihn lösen wird , aber was hat die Länge der Haare mit ihrem Wesen zu tun?
    »Du hast …« , setzt er an , bricht ab , es ist keine gute Idee , so zu beginnen. »Du bist einen anderen Weg gekommen , als ich gedacht hatte.«
    »Andrea ist schon beim Bahnhof abgebogen , mir war es ganz recht , noch ein Stück zu laufen.«
    »Ich hätte dich am Bahnhof abholen können , dann wären wir schon zusammen … Schön , daß du da bist.«
    Sie trägt einen beigefarbenen Parka , wie ihn auch seine Mutter ausgesucht haben könnte , oben schaut ein schwarzweißes Palästinensertuch heraus.
    »Sehe ich meinen … – dich endlich wieder. Verrückt oder? Wurde aber auch Zeit.«
    Er weiß nicht , was daran verrückt sein soll. Für ihn ist es das Normalste von der Welt , daß zwei Freunde , Liebende sich treffen , um auch wirklich beisammen zu sein , verrückt ist , daß sie sich so lange nicht gesehen haben: »Wurde wirklich Zeit.«
    »Und was macht Kahlenbeck so? Alles wie gehabt , oder gibt es was Neues.«
    »Du weißt doch: Alles muß bleiben , wie es ist , weil es schon immer so war , und es darf auf keinen Fall anders werden , weil es noch nie so war. Wem das nicht paßt , der kann ja gehen. Wir hatten Bremsklötze , wie jeden zweiten Mittwoch.«
    »Was?«
    »Bremsklötze. – Frikadellen. Habt ihr die nicht so genannt?«
    Ihr Augen sind so schön , daß er eigentlich gar nichts sagen müßte , geschweige denn belangloses Zeug , aber bislang haben sie immer geredet. Es gab so viel , worüber sie sprechen wollten , wenn sie einander endlich gegenüberstünden. Jetzt fällt ihm nichts ein. Jeder Satz , den er sagt , läßt einen anderen , der wichtiger wäre , ungesagt. Sobald sie einander schweigend in die Augen sehen , wird sich keiner mehr auskennen.
    »Doch. Eine große Veränderung gibt es: Krohkes ist weg – ein Segen: Wir haben einen neuen Spiritual. Er trägt keine Soutane , sondern normale Hosen mit Pullover , farbig , nicht schwarz , und in seinen Predigten geht es nicht ausschließlich um unsere Sünden und die ewige Verdammnis.«
    »Ich habe Krohkes gehaßt. Wir mußten ja auch bei ihm beichten … Mußten wir natürlich nicht , war freiwillig , klar , aber wenn man nicht von sich aus gegangen ist , hat Pankratia immer solche Andeutungen gemacht.«
    Die feuchtkühle Luft , durch die sie zehn sinnlos verschenkte Minuten vom Bahnhof bis hierher gegangen ist , hat ihr die Wangen gerötet. Sie sieht so gesund aus , so lebendig. Die Ähnlichkeit mit Renoirs Lise ist noch größer , als er sie in Erinnerung hatte.
    »So richtig toll scheint es da , wo du jetzt bist , auch nicht zu sein …«
    »Eher schlimmer. In Kahlenbeck konnte man wenigstens spazieren gehen oder nach Holland. Aber in Mariendorn , mitten in der Stadt , hängt immer jemand hinter der Gardine , der einen kennt. Es gibt Leute , die dich wegen jeder Kleinigkeit bei den Schwestern anschwärzen. Einer Kollegin von mir wurde letzte Woche mit Kündigung gedroht , weil man sie Hand in Hand mit ihrem Freund gesehen hat. Das mußt du dir vorstellen: Sie ist dreiundzwanzig.«
    »Wollen wir uns setzen? Oder lieber noch ein Stück von der Straße weg? Weiter hinten gibt es eine Halbinsel , dort hat man einen guten Blick übers Wasser. Oder möchtest du lieber in ein Café? Weyers ist fünf Minuten von hier. – Wieviel Zeit hast du überhaupt?«
    »Andrea lädt mich um Viertel vor vier wieder ein , das heißt , ich muß um halb los …«
    »Gerade mal eine Stunde …«
    »Besser als nichts , oder?«
    »Viel besser als nichts.«
    »Dann laß uns doch dorthin gehen , wo du gesagt hast. Aber nicht , daß wir uns verlaufen.«
    »Kein Problem.«
    »Ich bin hier noch nie gewesen.«
    »Der Park ist in Ordnung , wenn man Parks mag. Früher fand ich ihn jedenfalls nicht schlecht.«
    Hinter der hohen Hecke , den riesigen Rhododendronbüschen , offene Grünflächen , ein Birkenwäldchen , zwischen

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