Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
nicht von derart herausragendem Interesse sein , daß er sich die Mühe machen würde , dir persönlich zu erscheinen. Abgesehen davon: Weshalb sollte er dir einen Kontrakt mit Gegenleistungen anbieten , wo er doch alles , was er von dir will , sowieso umsonst bekommt.«
Kuffel schaut ihm tiefer ins Herz als er selbst. Dabei kennt er nicht einmal die Bilder , die Nacht für Nacht vor seinem inneren Auge aufscheinen und seine Vorsätze , Selbstekel , Scham außer Kraft setzen. Nicht einmal Spiritual Krohkes kannte sie , und Carl wird sie auch seinem Nachfolger , Spiritual Lenders , nur in ihren Auswirkungen anvertrauen. Wahrscheinlich ist das der Grund , weshalb Beichte und Lossprechung in seinem Fall nicht in der Lage sind , die Ketten zu sprengen , die ihn an die Sünde fesseln. Kein Wunder , daß er dem Bösen so wenig entgegenzusetzen hat. Nicht einmal gegen die Grausamkeit , mit der er Joschrupp drangsaliert , Thissen , Schulte , Körber quält , demütigt , zum Heulen bringt , hat er ein Mittel.
»Aber natürlich: Viele Heilige hatten Begegnungen mit dem Satan. Bei jemandem , der auf dem Weg , Christus gleichförmig zu werden , schon weit vorangeschritten ist , muß er ganz andere Geschütze auffahren als bei einem unbedarften Jungen , der gleich seine Seele gegen ein Flittchen tauschen will. Den heiligen Antonius haben die Dämonen auf jede nur vorstellbare Weise malträtiert. Über die Kämpfe des Pfarrers von Ars mit dem Satan gibt es zahllose Geschichten. Wenn du Roghmann fragen würdest … Er schläft sicher nicht umsonst auf dem nackten Boden statt im Bett. Und Goethe wird sich seinen Mephisto auch nicht aus den Fingern gesaugt haben. Es ist doch stark anzunehmen , daß er einschlägige Erfahrungen hatte. Sein Leben war gesegnet mit allem , was diese Welt zu bieten hat. Und Besitz , Vergnügungen , Wollust sind die Dinge , über die der Satan nach Belieben verfügen darf , um uns zu prüfen.«
Ohne daß er es verhindern kann , laufen ihm Tränen: »Ich bin Dreck« , flüstert er.
Schluchzt auf , versucht sich zusammenzureißen , schaut Kuffel an , der vor seinen Augen verschwimmt , jetzt nicht mehr Strenge ausstrahlt , eher Mitgefühl.
»Weißt du« , sagt er , »es ist gut , wenn du von echter Reue geschüttelt wirst. Das ist der Zustand , in dem wir Gott am liebsten sind. Wie es im Psalm heißt , Schlachtopfer willst du nicht , an Brandopfern hast du keinen Gefallen. Das Opfer , das Gott gefällt , ist ein zerknirschter Geist , ein zerbrochenes Herz .«
Siebzehn
Schwäne. Ein Paar. Lautlos gleiten sie auf dem dunklen Wasser der Vries , nähern sich der alten Mühle , wo ein Wehr den Fluß zum flachen See staut. Ehrfurchtgebietende Vögel. Sie bleiben ihr Leben lang zusammen. Verharren bewegungslos vor dem mächtigen Ast , den das letzte Unwetter abgerissen hat. Binsen , niedriges Schilf. Wipfel von Eichen ragen aus Nebelbänken. Nicht viele Tiere halten einander die Treue , wie Mann und Frau es tun sollen , als hätten sie einen gesegneten Bund geschlossen vor Gott , dem Schöpfer. Gegenüber ist das Ufer steiler , nasses Gras , Brennesselgestrüpp , weiter unten ein Abbruch , durchsetzt von Höhleneingängen: Wasserratten , vielleicht Eisvögel. Er weiß nicht , was es mit Omen auf sich hat: Ob es Gottvertrauen ist oder heidnischer Aberglaube , den Zeichen , die in der natürlichen Welt aufscheinen , Bedeutung beizumessen , doch daß die Schwäne ihm gleich als erstes beim Eingang des Parks ins Auge gesprungen sind , stimmt ihn hoffnungsvoll.
In der feuchtschweren Luft unter niedrigen Wolken verblassen die satten Farben von Bäumen , Sträuchern , Hecken. Unfaßbar weiß ihr Gefieder darin ; das leuchtende Orange der Schnäbel. Entschlossenheit , keine Furcht. Er denkt an ihr unheimliches Fauchen , an Schnabelstöße mit ausgebreiteten Schwingen. Wenn einer von ihnen stirbt , nötigt sein letzter Gesang dem Himmel Mitgefühl ab: Wegen des Zurückbleibenden , der allein weiterleben muß. Sie ziehen unter den Zweigen der Trauerweiden hindurch , synchron in allen Bewegungen , selten weiter als einen Meter voneinander entfernt. Abwechselnd und lautlos tauchen ihre Köpfe ins Spiegelbild. Einer behält die Umgebung im Auge , ob Gefahr naht.
Carl folgt ihnen am Ufer , langsam , mit Abstand , um nicht zu stören. Fahlgelbe Blätter fallen auf die Oberfläche , bilden ein Beet ohne Halt , darunter Ranken , Schlingpflanzen , von der Strömung sachte bewegt. Das gedämpfte Klatschen des Wassers , das
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