Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
den bleichen Stämmen die Rückseite des Pavillons. Kein Mensch weit und breit.
»Schau mal , Karnickel.«
»Weißt du , ich bin schon auch aufgeregt.«
»Und was machst du sonst , wenn du freihast?«
»Sonntags , wenn ich keinen Dienst habe , besuche ich meistens meine Eltern. Manchmal gehen Andrea und ich Pizza essen. Einmal war ich im Kino , da hatte Albrecht mich eingeladen , der Freund , von dem ich dir erzählt hatte. Poltergeist hieß der Film , aber der war so gruselig , daß ich mir die meiste Zeit entweder die Ohren oder die Augen zugehalten habe. Ansonsten versuche ich das Buch zu lesen , das du mir empfohlen hast. Dienstags gucken im Wohnheim immer alle Dallas …«
»Gott , wie schrecklich.«
»Hast du schon Folgen gesehen?«
»Mir reicht , was ich darüber höre , um zu wissen , daß ich es nicht sehen muß.«
»Ist nicht toll , aber auch nicht so schlimm , wie manche sagen. Wenn man erst mal in der Geschichte drin ist , will man halt wissen , wie es weitergeht. Die , die Schicht hatten , lassen sich von den anderen erzählen , was passiert ist. Und dann überlegt man zusammen , was J.R. sich wohl als nächstes für eine Gemeinheit ausdenkt. Zwei von den Erbarmensschwestern sind auch bei den Fans.«
»Aber du machst auch viel mit diesem … also mit dem Albrecht , oder?«
»Ach , laß gut sein. Das war eine blöde Geschichte. Erzähl ich dir ein anderes Mal. Hat sich jedenfalls … Wie soll ich sagen. Ist ein Fehler gewesen.«
Er sieht ein unrasiertes Männergesicht , schwarze fettige Haare , will wissen , ob sie ihn geküßt hat , vielleicht darüber hinausgegangen ist , ob sie es sich , wenn es nicht passiert ist , vorgestellt , gewünscht hat , oder ob im Gegenteil dieser Albrecht sich mehr versprochen hat , als sie bereit war , ihm zu geben. Wie schon bei Rasche hat sie ihm verheimlicht , daß eine Liebe oder Vorstufen davon im Gange waren , während er in Kahlenbeck festsaß und keine Möglichkeit hatte , um sie zu kämpfen , außer mit Geschriebenem. Doch was sind ein paar Tintenkringel auf Papier , die zwei Tage bis zu ihr unterwegs sind , verglichen mit einem Blick , einer Berührung oder der Gelegenheit , während eines furchterregenden Films ihr Beschützer zu sein?
»Mach dir keine Gedanken« , sagt sie. »Wir haben dann einfach gemerkt , also ich habe gemerkt , daß ich ihn zwar sehr gern mag , aber daß mir , wie soll ich mich ausdrücken , also daß mir in den Gesprächen eine bestimmte Tiefe fehlt , die ich mit dir zum Beispiel immer habe , ohne daß man sich groß darum bemühen muß.«
»Das geht mir auch so.«
»Bist du sicher?«
Sie schaut ihn zweifelnd , beinahe ängstlich an.
»Das mußt du doch merken.«
»Ich hab’ trotzdem immer Zweifel oder Sorge , daß du mich vielleicht nicht besonders klug findest , weil mir nie so gute Formulierungen einfallen …«
»Ich weiß immer , was du meinst , und ich liebe …«
Es wäre nur ein kleiner Schlenker , eine geringfügige Verschiebung , wenn er »dich« sagen würde , dann stünde da dieser Satz , der alles verwandelt: Erstmals hätte er ihn zu einem Menschen , einer Frau gesagt. Wie ginge es dann weiter?
»… deine Briefe.«
»Wirklich?«
»Im Moment sind sie das einzige , was mich aufrecht hält , in diesem Knast.«
Plötzlich bleibt sie stehen , wendet sich nach links , tritt an das schmiedeeiserne Gitter , sagt: »Wenn jetzt Sommer wäre , könnten wir Minigolf spielen« , deutet auf eine grellbunt gestrichene Bahn: »Schau mal , es gibt einen dreifachen Looping. Der ist schwierig. Und ein Netz mit Wassergraben. Hast du schon mal Minigolf gespielt? Ich spiele immer mit Carina.«
»Wir haben hier früher manchmal gespielt , auch an der See , wenn wir im Urlaub waren , ist aber schon lange her.«
»Dann ist es hiermit beschlossen: Sobald es wieder wärmer wird , spielen wir Minigolf , du und ich.«
Sie macht tatsächlich Pläne für sich und ihn , sie beide , sonst niemanden , im kommenden Frühling oder Sommer , so weit in die Zukunft hat er noch gar nicht denken können , angesichts der Dunkelheit und Kälte , die bevorsteht.
»Wenn du willst.«
»Ich freue mich schon.«
Die feuchte Luft hat sich in Nieselregen verwandelt. Auf ihren kurzen , dicken Locken ein glänzender Film aus winzigen Tropfen: wie sie im Bad vor dem Spiegel stand – gestanden hätte – , eingewickelt in nichts als ein Handtuch , sich nach vorn beugte und mit langen schweren Zügen Strähne für Strähne kämmte.
»Du hast die
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