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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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voll anerkannt wäre. Ich wollte nie auf die miese H-Szene am Kurfürstendamm zurück. Ich glaubte echt, ich könnte auf der Hasenheide entziehen.
    Ich ging jetzt jeden Nachmittag wenigstens kurz mit Janie auf die Hasenheide. Dem Hund gefiel es sehr gut da, weil da viele Hunde waren. Auch die Hunde waren hier total friedlich. Und alle mochten Janie und streichelten sie.
    Die Tauben fütterte ich nur jeden zweiten oder dritten Tag. Das war voll ausreichend, wenn man sie die Kröpfe bis zum Platzen voll machen ließ und ihnen dann noch einen Vorrat hinstreute.
    Ich rauchte Shit, wenn mir jemand was anbot. Es bot mir immer jemand was an. Denn das ist eben auch ein Unterschied zwischen H-Szene und Haschischszene, das die Hascher abgeben, wenn sie was haben.
    Ich lernte dann auch den Kanaken näher kennen, von dem ich am ersten Tag mit Piet das Dope gekauft hatte. Ich legte mich mal neben die Decke, auf der er mit ein paar anderen Kanaken hockte. Der Typ lud mich dann ein, mich mit auf die Decke zu setzen. Er hieß Mustafa und war Türke. Die anderen waren Araber. Alle so zwischen siebzehn und zwanzig Jahre alt. Sie aßen gerade Fladenbrot mit Käse und Melone und gaben mir und Janie was ab.
    Den Mustafa fand ich irgendwie sehr cool. Er war Dealer. Aber ich fand die Art unheimlich cool, in der er dealte. Er hatte nichts von der Hektik und dem Getue der deutschen Stardealer. Mustafa riss Grasbüschel raus und steckte den Beutel mit Dope dann unter die Grasbüschel. Da konnte ruhig Razzia sein. Die Bullen hätten nie was gefunden. Wenn einer kaufen wollte, stocherte Mustafa seelenruhig mit seinem Taschenmesser im Gras rum, bis er das Dope wiedergefunden hatte.
    Er verkaufte keine abgewogenen Päckchen wie die Dealer auf der H-Szene. Er holte immer ungefähr ein Viertel mit der Messerspitze raus. Die Portionen waren in Ordnung. Was dann am Messer hängenblieb, streifte er mit zwei Fingern ab und ich durfte es sniefen.
    Mustafa sagte gleich, dass Drücken scheiße sei. H dürfe man nur sniefen, wenn man nicht abhängig werden wollte. Er und die Araber snieften nur. Und keiner war körperlich drauf. Die snieften nur, wenn sie mal Bock hatten.
    Ich durfte auch nicht immer absniefen, was am Messer hängenblieb, weil Mustafa nicht wollte, dass ich wieder körperlich draufkam. Ich merkte, dass diese Kanaken echt mit Rauschgift umgehen konnten. Ganz anders als die Europäer. Für uns Europäer war H so ungefähr dasselbe wie früher für die Indianer das Feuerwasser. Ich dachte mal, mit H könnten die Orientalen die Europäer und Amerikaner genauso ausrotten wie damals die Europäer mit Alkohol die Indianer.
    Ich lernte Kanaken nun also mal ganz anders kennen. Nicht als Du-bumsen-Freier, die für Babsi, Stella und mich immer das Letzte gewesen waren. Mustafa und die Araber waren sehr stolz. Man konnte sie sehr leicht beleidigen. Sie akzeptierten mich, weil ich für sie sehr selbstbewusst wirkte. Ich bekam nämlich sehr schnell raus, wie das bei ihnen lief. Man durfte zum Beispiel nie um etwas bitten. Bei denen war irgendwie Gastfreundschaft immer noch was ganz Wichtiges. Wenn man was wollte, hat man es sich genommen. Ob das nun Sonnenblumenkerne waren oder H. Man durfte ihnen aber auch nie das Gefühl geben, dass man ihre Gastfreundschaft ausnutzte. Ich wäre also nie auf die Idee gekommen, sie zu fragen, ob ich mir mal H mitnehmen dürfe. Was ich mir nahm, das sniefte ich auch sofort weg. Sie haben mich dann auch voll akzeptiert, obwohl sie sonst von deutschen Mädchen keine sehr hohe Meinung hatten. Ich kam drauf, dass Kanaken den Deutschen irgendwo auch einiges voraushaben.
    Ich fand das also alles ganz cool und kam überhaupt nicht auf die Idee, dass ich noch eine Fixerin sei, bis ich dann merkte, dass ich körperlich doch wieder drauf war.
    Abends spielte ich inzwischen meinem Vater die bekehrte Tochter vor. Ich ging mit ihm oft in den Schluckspecht und trank ihm zu Gefallen schon mal ein kleines Bier. Ich hasste diese Alkigesellschaft im Schluckspecht irgendwie. Andererseits hatte ich mein Doppelleben voll drauf. Ich wollte auch im Schluckspecht anerkannt werden. Ich wollte mich in meinem späteren Leben, in dem es ja keine Drogen geben sollte, auch durchsetzen.
    Ich übte flippern und trainierte wie eine Besessene Billard. Skat wollte ich auch lernen. Alle Männerspiele wollte ich beherrschen. Besser als die Männer. Wenn ich schon in dieser Schluckspechtgesellschaft leben musste, dann wollte ich mich da auch echt behaupten.

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