Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Mich sollte da niemand angreifen können. Ich wollte ein Star in dieser Gesellschaft sein. Stolz wollte ich sein können. Wie die Araber. Nie jemanden um etwas bitten müssen. Nie mich unterlegen fühlen.
Aber mit dem Skatlernen wurde es nun schon nichts mehr. Ich hatte andere Sorgen, als ich zum ersten Mal wieder leicht auf Turkey war. Ich musste jetzt unbedingt jeden Nachmittag auf die Hasenheide und ich brauchte da auch Zeit, weil ich mir von Mustafa nicht einfach H nehmen und dann wieder abhauen konnte. Ich musste also für ihn vermitteln und seelenruhig Sonnenblumenkerne kauen, während die Brieftauben von meinem Vater schon den dritten Tag nichts zu fressen bekommen hatten. Ich musste jeden Nachmittag meine Begleiterin, die Katharina, wieder abschütteln, dann Haushalt, Einkaufen, zu den Zeiten am Telefon sein, wenn mein Vater gewöhnlich anrief, und immer neue Geschichten erfinden, wenn mein Vater rausgekriegt hatte, dass ich nicht zu Hause war. Das ganze gute Feeling war hin.
Dann kam der Nachmittag auf der Hasenheide, an dem mir plötzlich jemand von hinten die Augen zuhielt. Ich drehte mich um. Detlef stand vor mir. Wir lagen uns in den Armen und Janie sprang an uns hoch. Detlef sah gut aus. Er sagte, er sei clean. Ich guckte ihm in die Augen und sagte: »Mensch Alter, urisch clean bist du. Du hast Pupillen wie zwei angespitzte Stecknadeln.« Detlef hatte in Paris also tatsächlich entzogen, war auf dem Bahnhof Zoo angekommen und hatte sich einen Druck gemacht.
Wir gingen zu mir nach Hause. Wir hatten noch Zeit, bis mein Vater kam. Mein Bett war echt zu wackelig. Ich legte die Zudecke auf den Boden und wir schliefen ganz happy miteinander. Dann redeten wir über Entzug. Gleich nächste Woche wollten wir anfangen. Natürlich nicht sofort. Und Detlef erzählte, wie er mit seinem Freund den Freier abgelinkt hatte, um die Kohle für den Entzugstrip nach Paris zu bekommen. Sie hatten den Typen einfach in der Küche eingeschlossen, ganz in Ruhe sein Euroscheckheft mitgehen lassen und die Schecks auf dem Zoo für 1000 Mark an einen Hehler verkauft. Bernd war dafür schon eingefahren. Detlef glaubte, ihn würden die Bullen nicht kriegen, weil der Freier seinen Namen nicht kannte.
Wir trafen uns jetzt jeden Tag auf der Hasenheide, gingen meistens noch zu mir nach Hause und sprachen nicht mehr viel vom Entzug, weil wir sehr happy miteinander waren. Ich bekam nur immer weniger alles unter einen Hut. Mein Vater verschärfte seine Kontrollen und beschäftigte mich mit immer neuen Aufgaben. Für die Araberclique brauchte ich Zeit,um auch für Detlef Dope mit abzustauben. Für Detlef wollte ich viel Zeit haben. Der ganze Stress ging voll von vorne los.
Ich sah dann auch schon keinen anderen Ausweg mehr, als über Mittag auf den Zoo zu fahren, um einen Freier zu machen. Ich verheimlichte das Detlef noch. Aber das ganze gute Feeling ging mehr und mehr kaputt, weil der Fixeralltag eben wieder anfing. Die paar Feiertage, die man nach einem Entzug immer hatte – ohne Angst vor Turkey und damit ohne den Zwang, immer Dope zu haben –, wurden nach jedem Entzug weniger.
Etwa eine Woche nachdem Detlef zurück war, tauchte Rolf auf der Hasenheide auf, der schwule Typ, bei dem Detlef wohnte. Er sah ziemlich mitgenommen aus und sagte nur: »Detlef ist eingefahren.« Sie hatten Detlef bei einer Razzia einkassiert und ihm dann auch gleich die Sache mit den Euroschecks angehängt. Der Hehler hatte ihn verpfiffen.
Ich ging zur Toilette am Hermannplatz, schloss mich ein und heulte erst mal ab. Es war also wieder nichts mit unserer tollen Zukunft. Es war wieder mal alles total realistisch, nämlich total hoffnungslos. Ich hatte dann vor allem Angst vor dem Turkey. Ich brachte es in meinem Zustand nicht, mich seelenruhig zu den Arabern zu setzen, Sonnenblumenkerne zu kauen und darauf zu warten, dass ein Snief für mich abfiel. Ich fuhr zum Bahnhof Zoo. Ich setzte mich auf ein Sims an den Reichsbahnschaukästen und wartete auf Freier. Es war aber absolut nichts los auf dem Bahnhof, weil irgendein tolles Fußballspiel im Fernsehen übertragen wurde. Nicht mal ein Kanake war in Sicht.
Dann kam ein Typ auf den Bahnhof, den ich kannte. Heinz, der alte Stammfreier von Stella und Babsi. Der Typ, der immer mit H bezahlte, Spritzen dazugab, aber dafür bumsen wollte. Mir war sowieso alles egal, seitdem ich wusste, dass Detlef für lange Zeit im Knast sein würde. Ich ging zu diesem Heinz hin, der mich nicht wiedererkannte, und sagte: »Ich
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