Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
dachte, dass Babsis Leber genauso kaputt war wie meine. Dass bei uns alles genau parallel lief. Ich hatte Sehnsucht nach Babsi. Ich hatte alle Streitereien vergessen. Ich glaubte, dass wir uns jetzt gegenseitig brauchten. Ich wollte sie auch ausquatschen lassen. Und sie überreden, zurück ins Krankenhaus zu gehen. Aber dann wurde ich wieder total nüchtern. Ich wusste, dass Babsi sowieso nicht ins Krankenhaus zurückgehen würde, nachdem sie schon wieder zwei Tage auf Trebe und auf H war. Ich kannte doch mich. Ich wäre auch nicht zurückgegangen. Babsi und ich waren uns verdammt ähnlich. Ich wusste auch nicht, wo ich sie suchen sollte. Sie flippte irgendwo auf dem Strich rum oder auf der Szene oder war bei einem Stammfreier. Ich hatte keine Zeit, sie überall zu suchen, weil mein Vater seine Kontrollanrufe zu Hause machte. Ich handelte nach der alten Fixermoral: Jeder Fixer ist sich selbst der Nächste. Ich fuhr nach Hause. Ich hatte nämlich überhaupt keinen Bock auf Szene oder Strich, weil ich noch Dope von Heinz hatte.
Am nächsten Vormittag ging ich runter, um mir die Zeitung zu holen, die BZ. Ich holte mir jeden Morgen eine Zeitung. Eigentlich, seit meine Mutter mir nicht mehr abends die Ausschnitte über Herointote in Berlin gab. Eher unbewusst suchte ich die Zeitung immer erst nach den Meldungen über Heroin-Opfer durch. Sie wurden immer kleiner, weil es immer mehr Tote gab. Aber ich kannte immer mehr von den Leuten, die da irgendwo mit einer Nadel drin gefunden wurden.
Ich schmierte mir also an diesem Morgen ein Marmeladenbrot und blätterte in der BZ rum. Es stand ganz vorne. Eine richtige Schlagzeile: »Sie war erst 14.« Ich wusste es sofort. Ich brauchte gar nicht weiter zu lesen. Babsi. Ich hatte es schon so ungefähr geahnt. Ich war eigentlich zu gar keiner Gefühlsregung fähig. Ich war total tot. Es war, als stünde da mein Tod in der Zeitung.
Ich ging ins Bad und machte mir einen Druck. Erst dann konnte ich etwas weinen. Es war nicht klar, ob ich um mich oder Babsi weinte. Ich rauchte eine Zigarette in meinem Bett, bevor ich alles lesen konnte, was in der Zeitung stand. Das war so richtig als kleine Sensation zurechtgeschrieben: »Die Einwegspritze aus milchigem Plastikmaterial steckte noch in der Vene der linken Hand des jungen Mädchens: Schülerin Babette D. (14) aus Schöneberg war tot. So wurde das bisher jüngste Rauschgiftopfer von einem Bekannten in einer Wohnung der Brotteroder Straße aufgefunden. Der Kripo erklärte Nadjy R. (30), er habe das Mädchen in der Diskothek ›Sound‹ in der Genthiner Straße aufgelesen. Da sie kein Quartier gehabt hätte, habe er sie in seiner Wohnung aufgenommen. Babette ist das 46. Rauschgiftopfer in Berlin in diesem Jahr.« Und so weiter. Schön drastisch geschrieben. So simpel, wie sich die Zeitungen die Fixerszene immer ausmalen. Sogar in den Illustrierten stand dann all dieser Schmus über Babsi, weil sie eben bis dahin die jüngste Rauschgifttote Deutschlands war.
Irgendwann gegen Mittag hatte ich mich erholt und hatte nur noch eine irre Wut. Ich war davon überzeugt, dass irgendein linkes Dealerschwein Babsi linkes Dope verkauft hatte, vielleicht Dope, das mit Strychnin versetzt war. Dope mit Strychnin gab es immer häufiger auf der Szene. Ich setzte mich in die U-Bahn und fuhr zur Polizei. Ich rannte, ohne anzuklopfen, in das Zimmer der Schipke. Ich packte aus. Ich sagte alles, was ich über linke Dealer wusste und über Zuhälter, die im H-Geschäft waren, und über das Sound. Das meiste schien sie gar nicht weiter zu interessieren. Und zum Schluss sagte sie dann wieder ihren Spruch auf: »Na, dann bis zum nächsten Mal, Christiane.«
Ich dachte, den Bullen sei es sowieso egal, wenn jemand linkes Dope verkaufe. Die seien ja nur froh, wenn sie wieder mal einen Fixer aus den Akten streichen konnten. Ich schwor mir, selber den Mörder von Babsi zu finden.
Der Typ, bei dem Babsi gefunden worden war, kam nicht in Frage. Der war relativ in Ordnung. Ich kannte ihn ziemlich gut.
Ein Freier mit urisch Kohle. Ein sehr ulkiger obendrein. Er umgab sich gern mit sehr jungen Mädchen. Er hatte mich schon mit seinem Sportwagen durch die Stadt gefahren, mich zum Essen eingeladen und mir Geld gegeben. Schlafen wollte er aber nur mit einem Mädchen, wenn die auch wirklich das Verlangen hatte. Da hätte er bei mir natürlich ewig warten können.
Der Kerl war zwar ein Geschäftsmann, hatte aber nie begriffen, dass das Anschaffen auch nichts anderes als ein
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