Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
niemand zuständig sein. Meine Mutter und ich also wieder rein ins Taxi. Meine Mutter regte sich unheimlich über die Ärzte auf, weil die nichts für mich getan hatten. Am nächsten Morgen brachte sie mich ins Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Das stank mir natürlich mächtig, weil ich da schon einmal abgehauen war.
Ein jungscher Assistenzarzt kam, um mir Blut abzunehmen. Ich habe ihm gleich meine Venen gezeigt, wo es sowieso keinen Sinn hätte, reinzustechen: »Da habe ich eine Thrombose. Die Vene ist sowieso total verknorpelt. Sie müssen eine nehmen, die darunter liegt. Nicht gerade reinstechen, sondern schräg, sonst kommen Sie sowieso nicht durch.«
Der Typ war ganz verunsichert, stach dann aber prompt doch in eine total verknorpelte Vene. Der zog und zog und es kam kein Blut, durch das Vakuum in der Spritze knallte dann die Nadel regelrecht wieder raus aus meinem Arm. Die nächsten Male hat er mich erst gefragt, wo er sie ansetzen sollte.
Ich schlief zwei Tage durch. Die Gelbsucht war nicht ansteckend. Und am vierten Tag waren die Leberwerte schon wieder ganz gut, der Urin kaum noch rot und mein Gesicht wurde langsam wieder weiß.
Ich musste jeden Tag bei den Drogenberatern anrufen und machte das auch. Ich hoffte ja, da gleich einen Therapieplatz zu bekommen. Und dann kam der große Hammer. Detlef war wieder raus aus dem Knast. Meine Mutter brachte ihn gleich am nächsten Besuchstag, einem Sonntag, mit.
Na ja, große Liebe, Umarmungen, Küsse, Seligkeit. Wir wollten einen Moment allein sein und gingen raus in den Krankenhauspark. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen. Kaum waren wir draußen, saßen wir schon in der U-Bahn, Richtung Szene. Der Zufall spielte mit. Wir trafen gleich einen Bekannten, Wilhelm, der es echt gut getroffen hatte. Der lebte bei einem Schwulen, einem sehr prominenten Arzt und Schriftsteller. Dieser Arzt gab Wilhelm nicht nur reichlich Kohle, sondern schickte ihn auch auf ein Privatgymnasium.
Wilhelm gab uns also gleich einen Druck aus. Ich war zum Abendbrot pünktlich im Krankenhaus zurück. Am nächsten Nachmittag kam Detlef wieder. Diesmal hatten wir echt Schwierigkeiten, Dope zu ergeiern, und ich war erst um halb elf Uhr abends wieder im Krankenhaus. Mein Vater hatte mich inzwischen besuchen wollen, weil er am nächsten Tag wieder mal nach Thailand flog.
Meine Mutter hatte dann wieder den verzweifelten Blick drauf, als sie kam. Ich fand, dass ich der letzte Dreck sei. Und dann kam auch noch mein Drogenberater und meinte, es hätte wohl keinen Zweck mit mir. Ich schwor mir und allen anderen, dass ich es ernst meinte mit dem Aufhören. Detlef heulte auch und sagte, es sei alles seine Schuld. Da ging er auch zur Drogenberatung. Und als er am Sonntag wiederkam, da hatte er schon für den nächsten Tag einen Therapieplatz.
Ich sagte: »Das finde ich hundertprozentig in Ordnung von dir, dass du das geschafft hast. Jetzt wird echt alles okay. Ich kriege auch noch meinen Platz. Ich schaffe das noch. Wir bauen nie wieder Scheiße zusammen.«
Wir gingen in den Park, und ich sagte: »Lass uns mal ganz schnell zum Zoo fahren. Ich muss mir noch einen Gruselroman kaufen, ›Rückkehr vom Totenkopfmond‹. Den dritten Teil. Die beiden ersten habe ich schon gelesen und meine Mutter hat die dritte Fortsetzung nirgends aufgetrieben.«
Detlef sagte: »Das ist ja prima, Alte. Da musst du ausgerechnet zum Zoo fahren, um dir einen Gruselroman zu kaufen. Sag doch gleich, dass du dir einen Druck machen willst.«
Das nervte mich unheimlich, dass Detlef plötzlich den Überlegenen mimte, der auf totalen Entzug ging. Ich dachte nämlich echt nicht an Dope. Ich wollte wirklich den dritten Teil von »Rückkehr vom Totenkopfmond«. Ich sagte: »Nun spinn dich bloß aus. Ich und Druck. Brauchst ja nicht mitzukommen.«
Detlef kam natürlich mit. In der U-Bahn fing ein altes Spiel von uns an. Ich legte mich sofort mit ein paar Omas an. Detlef war das wie immer peinlich und er ging auf die andere Seite des Waggons. Ich brüllte dann wie immer durch den ganzen Waggon: »He, Alter, du brauchst gar nicht so zu tun, als ob du nicht zu mir gehörst. Das sieht ja wohl jeder, dass du nichts Besseres bist als ich.« Dann kriegte ich wieder Nasenbluten. Das kriegte ich seit ein paar Wochen ständig in der U-Bahn. Ich war also total angenervt und wischte mir ständig das verdammte Blut aus dem Gesicht.
Zum Glück kriegte ich meinen Gruselroman am Zoo. Ich war schon wieder besser drauf und sagte zu Detlef: »Lass
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