Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
dann auch ganz freundlich, als sie die Personalien aufnahmen. Einer sagte zu mir: »Mensch, kaum fünfzehn, was machst du denn hier?« Ich sagte: Bummeln und steckte mir auch gleich eine Zigarette in die Flappe. Da wurde er ganz ärgerlich: »Los, weg mit dem Glimmstängel. Das ist doch das reine Gift in deinem Alter.« Ich musste die Zigarette wegwerfen.
Wir wurden in die Polizeiwache Ernst-Reuter-Platz gebracht und in eine Zelle gesperrt. Der Möchtegern-Dealer flippte gleich aus und schrie: »Lasst mich raus! Lasst mich raus!« Ich zog mir die Jacke aus, knüllte sie zum Kopfkissen, legte mich auf die Pritsche und döste auch weg. So eine Festnahme war das Letzte, was mich noch erschrecken konnte. Und auf die Idee, die Bullen könnten rauskriegen, dass ich von Bonnies getürmt war, kam ich gar nicht erst. Denn noch war ich bestimmt nicht als vermisst gemeldet.
Ich war dann auch nach zwei Stunden wieder raus. Ich ging wieder zur Mensa. Und auf dem Weg dahin kam der Moralische volles Rohr. Ich fing an zu flennen. Ich hatte also wieder nach einem Entzug bei der ersten Gelegenheit gedrückt. Und ich wusste nicht mehr, wohin. Ich konnte doch unmöglich mit Stecknadelpupillen bei meiner Mutter auftauchen und sagen: »Da bin ich, Mutti. Getürmt. Mach mir mal Abendessen.«
Ich ging zur Drogenberatungsstelle in der alten Mensa der Technischen Universität. Da waren sehr coole Typen und die richteten mich wieder so weit auf, dass ich bei meiner Mutter anrufen konnte. Meine Mutter war halbwegs beruhigt, als sie hörte, dass ich von der Uni aus anrief. Auf dem Weg nach Hause merkte ich, dass ich Fieber hatte. Als ich in meinem Bett lag, waren es schon über vierzig Grad. Meine Mutter holte den Notarzt, weil ich zu fantasieren anfing. Der wollte mir eine Spritze geben und ich hatte plötzlich panische Angst, weil ich die Spritze in den Hintern bekommen sollte. Ich konnte mir zwei-, dreimal täglich in den Arm stechen. Aber als der mir die Spritze in den Hintern knallte, flippte ich fast aus.
Das Fieber ging dann gleich wieder runter. Aber ich war total fertig. Bonnies Ranch hatte mir physisch und psychisch den Rest gegeben. Als ich nach drei Tagen wieder aufstehen konnte, fuhr ich sofort zur Drogenberatungsstelle. Ich musste auf dem Weg dahin über die Szene bei der Mensa. Ich rannte da, ohne links und rechts zu sehen, durch.
Eine Woche lang ging ich jeden Tag zur Drogenberatungsstelle. Da konnte ich endlich mal quatschen. Das war das erste Mal, dass ich irgendwo hinkam, und man ließ mich ausquatschen. Bisher war ich immer voll angelabert worden. Meine Mutter hatte mich immer vollgequatscht, mein Vater, die Narkonontypen, alle. In der TU-Mensa sollte ich erzählen und selber checken, was mit mir los war. Ich rannte noch zu den Beratern, als ich im Gesicht schon gelb war wie eine Zitrone. Als ich vor der Mensa ein paar Bekannte traf, rannten die regelrecht weg vor mir und schrien: »Mensch, hau ab mit deiner verdammten Gelbsucht.«
Ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich mir schon wieder eine Gelbsucht eingefangen hatte. Es war auch echt verrückt. Immer wenn ich wirklich eine längere Zeit clean geblieben war und eine Hoffnung hatte, kriegte ich prompt diese Fixerkrankheit. Als die Bauchschmerzen ziemlich unerträglich wurden, fuhr ich mit meiner Mutter ins Klinikum Steglitz. Ich wollte nach Steglitz, weil die da eine astreine Kantine hatten. Da saß ich dann in der Aufnahme zwei Stunden rum und krümmte mich auf meinem Stuhl vor Schmerzen. Jede Schwester, die reinkam, konnte an meinem gelben Gesicht sofort ablesen, was mit mir los war. Aber die taten überhaupt nichts. Das Wartezimmer war voll mit Menschen, Kinder darunter. Wenn meine Gelbsucht wieder ansteckend gewesen wäre, hätte ich die alle infizieren können.
Nach zwei Stunden bin ich dann losgelaufen. Immer an der Wand lang, weil ich sehr schwach war und wahnsinnige Schmerzen hatte. Ich wollte mich nach der Isolierstation durchfragen, und als ein Arzt vorbeikam, sagte ich ihm: »Ich will ein Bett. Ich will hier nicht alle Leute anstecken. Denn ich habe die Gelbsucht, wie Sie vielleicht sehen können.« Der hat gemeint, da könne er so auch nichts dran machen. Ich müsse erst mal in die Aufnahme. Ich also wieder zurück.
Als ich dann endlich mit einer Ärztin sprechen konnte und ihr lieber gleich erzählte, dass ich die Gelbsucht wahrscheinlich vom Fixen hätte, sagte die doch eiskalt: »Tut mir leid, da sind wir nicht zuständig.«
Für Fixer will eben
Weitere Kostenlose Bücher