Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
ich die Tränen nicht mehr halten konnte, bin ich rausgerannt. Ich bin über die Straße rüber und dann in den Park gegenüber vom Sound. Das Wasser ist mir nur so übers Gesicht gelaufen.
Plötzlich stand Detlef neben mir. Er gab mir ein Tempo-Taschentuch und dann noch eins. Ich war zu sehr mit mir selber beschäftigt, um Detlef überhaupt richtig wahrzunehmen. Erst viel später ist mir klar geworden, wie lieb es von Detlef war, mich draußen zu suchen.
Ich wollte Atze nie wieder sehen. Ich dachte, ich könne es nicht ertragen, ihm noch mal in die Augen zu sehen. Nun, wo ich vor allen geheult hatte und damit gezeigt hatte, wie abhängig ich von ihm war. Aber Detlef zog mich zurück in das Sound.
Ich musste sowieso zurück, weil Atze ja den Schlüssel von dem Schließfach hatte. Ich habe mich unheimlich zusammengerissen, bin ins Kino rein, habe Atze aus dem Sessel geschreckt und mir den Schlüssel geholt. Nachdem ich meine Sachen hatte, war ich allerdings nicht mehr stark genug, den Schlüssel auch noch zurückzubringen. Detlef, der irgendwie immer in meiner Nähe war, machte das.
Es war fast zwei Uhr. Die letzte U-Bahn war weg. Ich stand vor dem Sound und wusste nicht wohin. Ich hatte unheimlich Bock, jetzt was anzutörnen. Ich brauchte das jetzt. Aber ich hatte überhaupt keine Kohle mehr. Da kam einer aus der Clique vom Haus der Mitte vorbei, Panther. Ich wusste, dass Panther ein bisschen mit LSD dealte und immer sehr gutes Zeug hatte. Ich haute ihn an, ob er mir nicht einen Trip schenken könne. Er gab mir was. Eine von den unheimlich guten Kristallpillen. Er fragte nicht mal, warum ich so spät noch unbedingt auf einen Trip gehen wollte.
Ich warf die Pille sofort ein und ging wieder runter auf die Tanzfläche. Ich flippte beim Tanzen total aus. Ich tanzte mindestens eine Stunde wie eine Wahnsinnige. Als ich aufhörte, merkte ich noch nichts von dem Trip. Ich dachte, Panther hätte mich gelinkt. Zum Glück waren ein paar Leute aus dem Haus der Mitte gekommen. Ich ging zu Piet. Der war auch auf Pille. Ich erzählte ihm die Geschichte mit Atze. Aber Piet war natürlich auf was anderes abgefahren und sagte nur »vergiss es, Mädchen« oder »mach dir nichts draus« und noch ein paar Sprüche.
Ich aß einen Vanillepudding und sagte: »Die ganze Welt ist öde und unheimlich scheiße.« Ich wollte die Puddingschüssel zurückbringen, um mein Pfandgeld zurückzuholen, denn im Sound muss man auf jedes Glas und jede Schüssel Pfand bezahlen, damit man nichts klaut. Da war ich innerhalb einer Sekunde voll drauf. Es war wie ein Flash. Ich kippte mit der Bank um. Ich tanzte dann, bis der Laden dichtgemacht wurde.
Draußen traf ich die Clique wieder und Atze und Moni. Es machte mir überhaupt nichts aus. Ich fuhr auf irgendein Sound-Plakat ab. Atze und Moni gingen zu Atze aufs Zimmer.
Wir anderen gingen in Richtung Zoo. Irgendjemand kam auf die Idee, ins Europacenter zu gehen. Wir landeten auf der Eisbahn im Europacenter. Es war eine ziemlich warme Nacht. Es hatte geregnet und auf dem Eis war Wasser.
Ich schlitterte durch das Wasser und dachte, ich ginge über ein Meer. Plötzlich hörte ich, wie eine Scheibe kaputtging. Die Jungs waren am Kassierer-Häuschen zugange. Einer langte durch die kaputte Scheibe in der Tür, brach auch noch eine Schublade auf und warf Geldrollen raus. Ehe ich richtig kapiert hatte, rannten schon alle. Ich fiel in meinen hochhackigen Stiefeln erst mal der Länge nach aufs Eis. Ich war durch und durch nass. Detlef wartete auf mich und nahm mich an die Hand.
Auf dem Kurfürstendamm vor dem Kranzler wurde die Beute geteilt. Jeder bekam was ab. Das fand ich wieder toll. Ich bekam zwei 5-Mark-Rollen. Alle waren unheimlich happy. Nicht so sehr wegen des Geldes, sondern weil wir die beiden Privatbullen, die das Europacenter nachts immer bewachen und schon oft hinter uns her gewesen waren, geleimt hatten. Wir waren ganz verrückt vor Freude. Wir brachen die Groschenrollen auf und warfen das Geld in die Luft. Vor dem Kranzler regnete es Groschen. Der Fußweg war mit Groschen übersät.
Wir gingen in eine Pinte im Bahnhof Zoo, die schon aufhatte. Ich kam sofort ganz mies drauf. Ich war zum ersten Mal auf dem Bahnhof Zoo. Es war ein ungeheuer mieser Bahnhof. Da lagen Penner in ihrer Kotze, überall hingen Besoffene rum. Was wusste ich, dass ich in ein paar Monaten hier jeden Nachmittag verbringen würde.
Gegen sechs Uhr fuhr ich nach Hause. In meinem Bett kam ich zum ersten Mal während eines
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