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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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der Clique verstehen. Darüber konnte ich nur mit meiner Mutter reden.
    Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Ich sagte: »Du, Mutti, hör mal, ich war gestern Abend mit Kessi im Sound.« Meine Mutter guckte entsetzt. Ich sagte: »Es war eigentlich ganz gut. Das ist ein unheimlich großer Laden. Da ist sogar ein Kino drin.«
    Meine Mutter machte mir gleich ein paar der üblichen Vorhaltungen. Ich wartete auf Fragen. Aber meine Mutter stellte nicht viele Fragen. Sie war auch wieder gestresst an diesem Sonntagmittag. Haushalt, Essenkochen, Trouble mit Klaus. Sie wollte sich wohl nicht noch mehr Ärger aufladen, indem sie mit mir ein langes Palaver anfing. Vielleicht wollte sie auch gar nicht alles so genau wissen.
    Ich hatte nicht den Mut zum Reden. Mir war auch gar nicht so richtig bewusst, dass ich reden wollte. Mir war in dieser Zeit nie etwas richtig bewusst. Ich lebte aus dem Unterbewusstsein, meinen Stimmungen. Ich dachte nie an morgen. Ich hatte keine Pläne. Was für Pläne auch? Wir sprachen alle nie über die Zukunft.
    Am nächsten Wochenende musste Kessi bei mir schlafen, weil wir das meiner Mutter so verkauft hatten. Ich schleppte sie auch tatsächlich bis zu unserem Haus. Sie war voll breit. Auf Pille. Ich hatte auch einen halben Trip geschmissen, hatte aber noch Durchblick. Kessi stand auf der Straße vor unserem Haus und fand es unheimlich geil, dass da zwei Lichter auf sie zukamen. Ich musste sie von der Straße runterzerren, damit sie nicht von dem Auto überfahren wurde.
    Ich schob sie gleich in mein Zimmer. Doch meine Mutter kam natürlich hinterher. Als sie in der Tür stand, hatten Kessi und ich das gleiche irre Bild: dass meine Mutter zu dick war, um durch den Türrahmen zu passen. Wir fingen an zu lachen und kriegten uns nicht mehr ein. Ich sah meine Mutter als dicken, gutmütigen Drachen mit einem Knochen im Haar. Wir lachten und meine Mutter lachte ganz fröhlich mit. Sie muss gedacht haben, was für zwei alberne Teenager wir sind.
    Kessi nahm mich nun fast jeden Samstag mit ins Sound. Ich ging schon mit, weil ich sonst nicht gewusst hätte, was ich am Samstagabend tun sollte. Ich gewöhnte mich allmählich ans Sound. Ich sagte dann meiner Mutter auch, dass wir ins Sound führen, und sie erlaubte mir, bis zur letzten U-Bahn zu bleiben.
    Das ging ein paar Wochen gut, bis zu einem Samstag im Sommer 1975. Wir wollten die ganze Nacht wegbleiben und hatten wieder zu Hause erzählt, wir schliefen bei unserer Freundin. Das lief immer noch, denn meine Mutter hatte damals noch kein Telefon. Die Mütter konnten uns also nicht nachspionieren. Wir gingen erst mal in das Haus der Mitte und machten zwei Flaschen Wein leer. Dann machten wir uns eine tierische Pfeife. Kessi warf noch ein paar Ephedrin ein und fing irgendwann an zu heulen. Ich kannte das schon. Nach Ephedrin kriegt man manchmal einen Moralischen.
    Als Kessi plötzlich verschwunden war, machte ich mir doch Sorgen. Ich ahnte, wo sie war, und ging zum U-Bahnhof. Da hing sie auf einer Bank und schlief, vor sich auf dem Boden einen Haufen Pommes frites. Ehe ich sie wecken konnte, kam eine U-Bahn. Kessis Mutter stieg aus. Sie war in einer Sauna beschäftigt und kam jetzt gegen zehn von der Arbeit. Sie entdeckte ihre Tochter, die sie bei mir zu Hause im Bett glaubte. Kessi bekam noch schlafend links und rechts ein paar an die Ohren. Es klatschte richtig. Kessi kotzte. Ihre Mutter fasste sie am Arm, richtig mit so einer Art Polizeigriff, und schleppte sie weg.
    Die Ohrfeigen auf dem U-Bahnhof Wutzkyallee haben Kessi wahrscheinlich eine Menge erspart. Ohne diese Ohrfeigen wäre sie vielleicht noch vor mir auf der Szene und auf dem Strich gelandet und würde jetzt nicht das Abitur machen.
    Jedenfalls wurde Kessi der Umgang mit mir verboten und sie durfte abends überhaupt nicht mehr raus. Das machte mich erst mal ziemlich allein. Die Clique im Haus der Mitte gab mir nicht mehr viel. Ich war mit ihr in der Woche noch zusammen im Club. Aber die Wochenenden konnte ich mir ohne Sound nicht mehr vorstellen. Ich fand das Sound und die Leute da immer stärker. Das waren jetzt die Stars für mich. Viel stärker als diese Typen, die nie so richtig aus Gropiusstadt rauskamen. Ich war jetzt immer sehr knapp bei Kasse. Denn Kessi hatte immer hundert Mark Taschengeld im Monat bekommen, das wir für Dope und Pillen ausgegeben haben. Nun musste ich mir mein Geld zusammenschlauchen und klauen.
    Ich musste jetzt allein ins Sound gehen. Am nächsten Freitagnachmittag

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