Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Trips beinah auf Horror. Ich hatte ein Poster mit einer Negerin, die einen Joint raucht, an der Wand. In der rechten unteren Ecke war ein kleiner blauer Fleck. Der verwandelte sich plötzlich in eine wahnsinnige Fratze, in ein echtes Frankensteingesicht. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig auf was anderes konzentrieren.
Mittags wachte ich total abgestumpft auf. Ich war ganz gefühllos. Wie tot. Ich dachte nur: Was bist du nur für eine miese Braut, dass dich gleich dein erster Freund so sitzenlässt. Ich ging zum Spiegel, sah rein und hasste mich. Ich sah mein Gesicht, das ich gestern noch so cool, so geheimnisvoll, so echt wie das Gesicht einer Drogi-Braut gesehen hatte. Ich sah unheimlich kaputt aus. Unter meinen Augen waren schwarze Ränder wie Trauerbalken. Die Haut war käsig und fettig. Ich entdeckte Pickel.
Ich sagte mir: »So, Christiane, mit dem Sound ist also jetzt Schluss. Du kannst Atze und der Clique nie mehr unter die Augen kommen.« Ich versuchte in den nächsten Tagen, alle Gefühle für andere in mir abzutöten. Ich nahm keine Tabletten und nicht einen einzigen Trip. Ich trank den ganzen Tag Tee mit Haschisch drin und machte mir einen Joint nach dem anderen. Ich fand mich nach ein paar Tagen schon wieder echt cool. Ich hatte es geschafft, dass ich außer mir selber niemanden und nichts mehr liebte oder gernhatte. Ich dachte, nun hätte ich also meine Gefühle unter Kontrolle. Ins Sound wollte ich nie mehr.
Die nächste Samstagnacht war für mich die längste meines Lebens. Ich blieb zu Hause. Es war der erste Samstagabend seit vielen Wochen, an dem ich nicht ins Sound ging. Ich konnte nicht fernsehen und nicht schlafen. Ich hatte nicht mehr genügend Dope, um mich zu bedröhnen. Ich merkte, dass ich ohne das Sound und die Leute da gar nicht mehr leben konnte. Ohne sie wurde mein Leben total inhaltslos.
Ich freute mich dann auf den kommenden Freitag, bevor mir noch richtig klar war, dass ich wieder ins Sound gehen würde. Ich habe mich innerlich wieder auf das Sound vorbereitet. Ich fummelte an meiner Frisur rum und kam darauf, die Haare gar nicht mehr zu kämmen. Ich meinte, das gäbe mir noch mehr Geheimnisvolles.
Am Freitag ging ich erst mal los, um ein paar Valium aufzureißen. Ich kippte sie mit Bier runter und schluckte noch eine Mandrax hinterher, bevor ich ins Sound fuhr. Da hatte ich dann schon keine Angst mehr vor Atze und der Clique. Ich nahm kaum noch etwas wahr. Ich borgte mir einen großen Jeanshut, setzte mich an einen Tisch, legte den Kopf auf die Platte und pennte fast die ganze Nacht.
Als ich mal aufwachte, hatte Detlef mir den Hut aus dem Gesicht geschoben und streichelte mein Haar. Er fragte, was sei. Ich sagte, nichts sei. Ich war sehr abweisend, aber ich fand es doch unheimlich lieb, wie er sich um mich kümmerte.
Schon am nächsten Wochenende war ich fast die ganze Zeit mit Detlef zusammen. Ich hatte wieder einen Grund, ins Sound zu gehen: Detlef.
Es war eine ganz langsame Sache mit ihm. Das war nicht der große Knall wie bei Atze. Wir waren erst mal ganz einfach zusammen im Sound. Wir redeten viel miteinander. Ich verstand mich mit Detlef auf eine ganz neue Art. Keiner war der Überlegene, jedenfalls nicht in den Gesprächen. Ich konnte mit Detlef über alles quatschen, ohne Angst, dass er meine Schwächen ausnutzte. Keiner beharrte auf seinem Standpunkt. Jeder konnte den anderen mal überzeugen. Ich hatte Detlef ja vom ersten Sehen sehr gern gemocht. Aber er war für mich nicht der ganz starke Typ wie Atze gewesen. Dazu war er irgendwie zu niedlich und zu kindlich. Allmählich merkte ich aber, dass mir die Freundschaft mit Detlef viel mehr gab als die mit Atze. Ich hatte ihn von Wochenende zu Wochenende mehr lieb, obwohl ich mich dagegen sperrte, wieder von einem Jungen abhängig zu werden wie von Atze. Aber irgendwann musste ich mir zugeben, dass ich in Detlef echt verliebt war.
Ich wurde sehr ruhig. Das lag auch daran, dass ich immer mehr Beruhigungspillen einschmiss und nur noch selten Aufputscher. Meine ganze Hippeligkeit war weg. Ich ging nur noch selten auf die Tanzfläche. Ich hottete eigentlich nur noch ab, wenn ich kein Valium aufreißen konnte.
Zu Hause muss ich für meine Mutter und ihren Freund richtig angenehm geworden sein. Ich widersprach nicht, ich kämpfte nicht mehr mit ihnen. Ich lehnte mich gegen nichts mehr auf, weil ich es aufgegeben hatte, für mich zu Hause irgendetwas zu verändern. Und ich merkte, dass dadurch die Situation einfacher
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