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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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wurde.
    Weihnachten 1975 – ich war jetzt dreizehneinhalb – glaubte ich, das Verhältnis zu meiner Mutter habe sich durch meine Resignation so entspannt, dass ich ihr einen Teil Wahrheit zumuten könne. Ich sagte ihr also, dass ich gar nicht immer bei Kessi geschlafen hätte, sondern manchmal auch die Nacht im Sound geblieben wäre, wenn die letzte U-Bahn schon weg war. Sie reagierte natürlich ziemlich sauer und machte starke Sprüche. Ich sagte ihr, es sei doch besser, ich bliebe mal eine Nacht in dieser Diskothek und käme dann wieder nach Hause, als abzuhauen wie andere Kinder in Gropiusstadt und auf Trebe zu gehen. Und ich sagte ihr, es sei doch besser, wenn sie die Wahrheit erführe und wisse, wo ich sei, als dass ich sie anlöge. Sie schluckte das.
    Ich hatte eigentlich kein starkes Bedürfnis mehr, meiner Mutter etwas von mir zu erzählen. Aber die ewige Rumlügerei nervte mich an. Und es wurde auch immer schwieriger, glaubhafte Geschichten zu erfinden. Der Anlass für mein Geständnis war, dass ich über die Weihnachtsfeiertage und Silvester ins Sound gehen wollte und dafür keine richtige Geschichte fand. Meine Mutter erlaubte mir tatsächlich, während der Feiertage jeden Abend wegzubleiben. Ich war selber baff. Aber ich hatte meiner Mutter natürlich erzählt, was für eine solide, harmlose Teenager-Disco das Sound sei und dass da alle meine Freundinnen hingingen. Außerdem machte ich ihr klar, dass sie doch selber merke, wie viel ruhiger ich sei, nachdem ich mich einmal in der Woche richtig austobte.
    Die Szene im Sound wurde inzwischen immer härter. Das Heroin kam rein wie eine Bombe. Auch in unserer Clique wurde jetzt ständig über H gequatscht. Eigentlich waren alle dagegen. Es gab ja für uns schon genügend Beispiele von Leuten, die das H kaputtgemacht hatte. Aber dann probierte doch einer nach dem anderen den ersten Druck und die meisten blieben dabei. Das Heroin zerstörte die Clique. Die schon H versucht hatten, gehörten sofort zu einer ganz anderen Gruppe.
    Ich hatte einen urischen Horror vor H. Wenn es um H ging, wurde mir plötzlich wieder bewusst, dass ich erst dreizehn war. Andererseits hatte ich wieder diese Hochachtung vor den Gruppen, in denen gedrückt wurde. Das war wieder die nächsthöhere Clique für mich. Die Fixer sahen auf uns Hascher und Pillenschlucker mit einer ungeheuren Verachtung herab. Haschisch hieß bei ihnen die Babydroge. Irgendwo deprimierte es mich, dass ich dachte, in die Fixerclique, auf die echte Szene, käme ich nie. Dass es also keinen Aufstieg für mich mehr gab. Denn ich hatte eben einen Horror vor dieser Droge, von der ich wusste, dass sie wirklich das Ende war.
    Es machte mir nicht so viel aus, dass unsere Clique am H kaputtging, weil ich Detlef hatte. Die anderen waren gar nicht mehr so wichtig. Mit Detlef wurde es immer besser. Einen Sonntag Anfang 1976 nahm ich ihn mit in unsere Wohnung. Ich wusste vorher, dass meine Mutter und ihr Freund nicht da waren. Ich kochte Detlef ein richtiges Mittagessen. Wir saßen dann am Tisch und aßen unser Sonntagsessen wie Mann und Frau. Ich fand das unheimlich cool.
    Ich dachte danach die ganze Woche nur an Detlef und freute mich wahnsinnig auf Freitag und das Sound. Ich kam ganz nüchtern, aber richtig happy an diesem Freitag ins Sound. Detlef saß mit einer total abgewrackten Braut zusammen. Ich setzte mich dazu, aber Detlef beachtete mich kaum. Ich merkte, er war total auf etwas anderes fixiert. Ich dachte einen Moment, jetzt ginge das los wie mit Atze. Aber das war natürlich Quatsch bei dieser abgetakelten Braut.
    Die beiden redeten erst gar nicht miteinander und dann in Brocken, die für mich keinen richtigen Sinn machten. Es ging jedenfalls um H Und plötzlich schnallte ich es irgendwie. Detlef wollte von der Braut H oder sie wollte ihm was andrehen. Ich kriegte Panik. Ich schrie richtig: »Mensch, Alter, bist du bekloppt. Du bist 16, du kannst doch kein H nehmen.«
    Er schien gar nicht richtig zuzuhören. Ich sagte: »Schmeiß heute Abend drei Trips auf einmal. Ich besorg sie dir. Aber mach bitte keine Scheiße.« Ich bettelte richtig.
    Als er nicht zu reagieren schien, machte ich einen riesigen Fehler, über den ich später oft nachgedacht habe. Ich wurde total panisch und schrie: »Wenn du H nimmst, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Dann kannst du abhauen. Ich will dich nicht mehr sehen.« Danach bin ich sofort auf die Tanzfläche gegangen.
    Ich hatte alles falsch gemacht. Ich hätte keinen Zirkus

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