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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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musste jetzt mit der U-Bahn eine halbe Stunde zu meiner Schule in Gropiusstadt fahren. Aber das Sound war näher.
    Das Sound war mies ohne Drogen. Es passierte überhaupt nichts mehr. Bis zu dem Morgen, an dem ich zur U-Bahn ging und gerade überall Plakate geklebt wurden. Es waren wahnsinnig poppige Plakate. Darauf stand: »David Bowie kommt nach Berlin.« Ich konnte das gar nicht fassen. David Bowie war unser einsamer Star, der coolste von allen. Seine Musik war die beste. Alle Typen wollten aussehen wie David Bowie. Und der kam nun also nach Berlin.
    Meine Mutter besorgte mir über ihren Betrieb zwei Freikarten für das Konzert. Ich wusste komischerweise sofort, wem ich die zweite Karte schenken wollte: Frank. Ich dachte nicht darüber nach, warum gerade Frank. Frank war einer aus unserer alten Sound-Clique. Er sah irgendwie original aus wie David Bowie. Er hatte sich sogar das Haar mit Henna rot gefärbt. Vielleicht war das der Grund, dass ich auf ihn kam.
    Frank war aber auch der erste Fixer aus unserer Clique gewesen. Er war als Erster schwer körperlich drauf auf H. Früher wurde er Hühnchen genannt. Jetzt sagten alle schon Leiche, weil er mittlerweile echt wie eine wandelnde Leiche aussah. Er war wie fast alle Jungs aus der Clique so um die 16 Jahre alt. Aber er hatte für sein Alter einen unheimlichen Durchblick. Er stand über allem. Er war so souverän, dass er selbst mir kleiner Hascherin gegenüber nie hochmütig tat.
    Ich wollte also ausgerechnet mit einem totalen Fixer zu dem David-Bowie-Konzert, das in meiner Vorstellung damals eines der bedeutendsten Ereignisse meines Lebens war. Wie bedeutend, wusste ich allerdings noch nicht, als ich Hühnchen die Karte anbot. Ich lebte ja nur aus dem Unterbewusstsein. Aber irgendwie musste sich in den Wochen, in denen mir Tabletten, Shit und LSD nichts mehr gegeben hatten, meine Einstellung zu H geändert haben. Jedenfalls waren die unüberwindlichen Barrieren, die zwischen mir und den Fixern gewesen waren, offenbar weg.
    Am Tag, an dem das Konzert war, traf ich mich mit Hühnchen am Hermannplatz. Er war unheimlich lang und wahnsinnig dünn. So war mir das noch nie aufgefallen. Ich sagte ihm das. Er sagte, er wiege noch 63 Kilo. Er habe sich gerade beim Blutspenden gewogen. Hühnchen verdiente sich einen Teil des Geldes für Dope mit Blutspenden. Obgleich er aussah wie eine Leiche und seine Arme total zerstochen waren und Fixer ja ziemlich oft Gelbsucht haben, nahmen sie ihn immer wieder zum Blutspenden.
    In der U-Bahn fiel mir ein, dass ich mein Valium vergessen hatte. Ich sagte zu Hühnchen: »Mist, ich wollte es unbedingt mitnehmen, falls ich beim Konzert irgendwie ausflippe.« Ich hatte allerdings zu Hause schon ein paar Valium eingeschmissen. Nicht, um mich zu berauschen, sondern um bei David Bowie ganz cool zu bleiben.
    Hühnchen war sofort total auf das Valium fixiert, das ich noch zu Hause hatte. Er wollte unbedingt zurückfahren. Ich fragte: »Wieso hast du so ’n Geier auf Valium?« Er sagte wieder, er wolle unbedingt zurückfahren. Als ich ihn genau anguckte, schnallte ich es. Seine Hände zitterten. Er kam auf Turkey. Turkey kommt aus dem Englischen und heißt Truthahn. Und wenn ein Truthahn erregt ist, flattert er. Turkey, das sind die Entzugserscheinungen bei alten Fixern, wenn die Wirkung des Drucks nachlässt. Man nennt das auch »auf dem Affen sein« oder »auf dem Hook«. Wir sagten meistens Turkey.
    Ich rechnete Hühnchen vor, dass wir nicht mehr zurückkonnten, weil wir dann zu spät zum Konzert kommen würden. Er sagte, er habe kein Dope und keine Kohle mehr. Wegen des Konzerts habe er auch nichts mehr aufreißen können. Es sei eine Riesenscheiße, auf Turkey zu David Bowie zu gehen und nicht mal Valium zu haben. Er war gar nicht mehr souverän und cool jetzt. Ich hatte schon oft jemand auf Turkey gesehen, das aber noch nicht so bewusst erlebt.
    In der Deutschlandhalle, wo das Konzert stattfand, war eine dufte Stimmung. Es waren fast nur coole Leute da, eben Bowie-Fans. Neben uns saßen amerikanische Soldaten, die rauchten eine Pfeife. Wir brauchten nur hinzugucken, da gaben sie die Pfeife an uns weiter. Alle waren in einer ganz geilen Stimmung. Hühnchen sog wie wahnsinnig an der Pfeife. Ihm ging es aber trotzdem immer schlechter.
    Als David Bowie anfing, da war es beinah so geil, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war wahnsinnig. Als er dann aber zu dem Stück kam »It is too late«, es ist zu spät, kam ich mit einem Schlag runter. Ich

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