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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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aufmerksam zu machen.
    Was uns als Pädagogen überraschte, die wir zur Zeit der Studentenbewegung den Gebrauch sogenannter weicher Drogen hauptsächlich unter dem Aspekt ihrer bewusstseinsmäßigen Auswirkungen diskutiert hatten, war die Schnelligkeit, in der in Gropiusstadt eine Szene für harte Drogen entstand. Innerhalb weniger Monate waren 30–50 Jugendliche aus unserem Einzugsbereich auf Heroin umgestiegen. Unsere bis dahin unternommenen Versuche, die Jugendlichen mit Argumenten und nicht mit disziplinierenden Maßnahmen von der Gefährlichkeit des Drogengebrauchs zu überzeugen, mussten auf die Jugendlichen geradezu als Einladung zum Weitermachen und als Eingeständnis unserer Unfähigkeit im Kampf gegen die Droge wirken.
    In der Offenen Jugendarbeit des Hauses der Mitte trat zu Tage, was von den staatlichen Behörden noch standhaft geleugnet wurde: dass nämlich von einem Abflauen der sogenannten Drogenwelle gar nicht die Rede sein konnte. Im Gegenteil, das Drogenproblem hatte quantitative und qualitative Ausmaße mit amerikanischen Dimensionen erreicht. Den Markt dafür bildeten nun arbeits-und ausbildungslose Arbeiterjugendliche. Was uns als Pädagogen blieb, war der öffentliche Protest gegen die behördliche Ignoranz. Die Schließung des Jugendkellers sollte ans Licht bringen, was viele sicher lieber im Dunkeln gelassen hätten. Das ist geschehen: Heute gibt es in Westberlin eine intensive Auseinandersetzung um die Drogenprobleme und behördliche Zugeständnisse.
    Inzwischen ist der Jugendkeller wieder geöffnet. Einige der an eine Wiedereröffnung geknüpften Forderungen sind erfüllt. Es gibt in Neukölln eine staatlich finanzierte Drogenberatungsstelle, in der Gropiusstadt einen Clean-Bus als Treffpunkt für drogengefährdete Jugendliche und ein erweitertes Therapie-Angebot. Die Drogenprobleme sind nach zwei Jahren nicht geringer geworden, auch wenn wir es jetzt mit einer bereits nachgewachsenen Generation von Jugendlichen zu tun haben. Einige der Jugendlichen aus Gropiusstadt, die vor zwei Jahren mit Heroin angefangen hatten, leben nicht mehr.
    Die Lebensverhältnisse der Jugendlichen sind inzwischen nicht besser geworden. Neben die alten Probleme treten offensichtlich neue: Immer mehr Jugendliche in Gropiusstadt tragen Waffen und sind im Zweifelsfall bereit, davon auch Gebrauch zu machen. Vielfach mischt sich das bereits mit entsprechendem nationalistischem Zubehör und der Bereitschaft, sich auf faschistisches Gedankengut einzulassen.
    Die meisten Jugendlichen, mit denen wir es im Haus der Mitte zu tun haben, kommen aus Arbeiterfamilien. Ihre Situation ist trotz scheinbar steigenden Wohlstands durch eine in den letzten Jahren ständig steigende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen gekennzeichnet: Wachsende Leistungsanforderungen und Stress in der Schule, überfüllte Klassen, Lehrstellenmangel, Arbeitslosigkeit und familiäre Konflikte sind der konkrete Ausdruck dieser Verschlechterung.
    In einer Neubausiedlung wie der Gropiusstadt, wo etwa 45000 Menschen wohnen, kommt hinzu, dass jede Problematik aufgrund der Zusammenballung von Menschen sogleich massenhaft auftritt: also viele arbeitslose Jugendliche, viele familiäre Konflikte, häufiges Schulversagen usw. Außerdem bietet die »natürliche« Umgebung nur noch wenig Natur und damit wenig Entfaltungsmöglichkeiten. Die schwächsten Gruppen in der Gesellschaft, die Kinder, die Jugendlichen und die Alten, sind solchen zerstörerischen Lebensbedingungen am unmittelbarsten ausgeliefert. Es fehlt in Gropiusstadt nach Abschluss der Bebauung – und das heißt nach Ausnutzung jeglichen Baugrundes – an geeigneten Spielmöglichkeiten für Kinder, an Freizeiteinrichtungen für Jugendliche und Erwachsene und vor allem an Erholungsflächen. Es gibt hier keine großen Parkanlagen, keine Wiesen, keine Wälder; einfach nichts, wo Kinder sich auf legale Weise austoben oder Erwachsene spazieren gehen können.
    Die Logik solcher Städte wie der Gropiusstadt beruht auf der Rentabilität des Kapitals und orientiert sich nicht an den Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten der Menschen. Immer deutlicher treten die bisher nur vermuteten Folgen der vorfabrizierten Lebensweise zu Tage.
    Materielle Not ist noch immer die Ursache vieler Konflikte und Probleme. Hohe Mieten und ständig steigende Lebenshaltungskosten erzwingen eine immer größere Arbeitsbelastung und das gemeinsame Verdienen von Mann und Frau. Und so unterliegt das Leben der Menschen hier einem

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