Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
scheinbar unauflöslichen Zwang, nämlich dem Zwang, immer mehr Lebenskraft für die tägliche Arbeit aufzubringen, ohne dafür wirklich glücklich und wohlhabend zu werden.
Die Droge ist von jeher eines der übelsten Mittel gewesen, den Menschen das Bewusstsein dafür zu rauben, dass sie zu den Opfern der gesellschaftlichen Entwicklung gehören. Alkohol hat in der Arbeiterschaft schon lange genau diese Funktion. Nun sind in den letzten Jahrzehnten andere Suchtmittel dazugekommen: Psychopharmaka, ein legales einträgliches Geschäft, und Rauschgifte wie Heroin und Kokain, zwar illegal, aber nicht weniger einträglich.
Erstaunlich ist eigentlich nicht so sehr, wie viele davon Gebrauch machen, sondern wie viele trotz massiver Existenzprobleme davon nicht Gebrauch machen. Das gilt auch und gerade für Jugendliche. Im Hinblick auf ihre Situation sollten eigentlich steigender Drogenmissbrauch, wachsende Kriminalität, zunehmende Brutalisierung und Verbreitung faschistoiden Gedankengutes unter Arbeiterjugendlichen nicht verwundern.
Es kann gar nicht ernsthaft bestritten werden, dass zwischen der Zunahme von Drogenmissbrauch unter Arbeiterjugendlichen und massiver Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen ein unmittelbarer, inzwischen kommerziell perfekt genutzter Zusammenhang besteht.
Am Wochenende, nach meinem ersten H-Snief, traf ich Detlef am Sound. Er haute mich sofort an: »Du hast ja wahnsinnige Scheiße gebaut. Du bist total verrückt geworden.« Er hatte von Astrid schon gehört, dass ich gesnieft hatte.
Ich sagte ihm: »Sei du doch ruhig, Alter. Du hast doch damit angefangen und bist jetzt schon ein richtiger Fixer. So weit kommt das bei mir sowieso nicht.«
Detlef konnte darauf nichts sagen. Er war sowieso nicht gut drauf. Er war nicht auf Turkey, denn er war noch nicht körperlich abhängig. Aber er war wahnsinnig schussgeil. Er sagte mir schließlich, dass er keine Kohle habe und gern ein bisschen Dope kaufen würde.
Ich sagte: »Siehst du, Alter.« Und dann machte ich ihm den Vorschlag, dass wir zusammen Geld für Dope schlauchen. Er war einverstanden, obwohl er ja wissen musste, worauf das hinauslief. Ich schlauchte in zwanzig Minuten vor dem Sound 20 Mark zusammen. Detlef hatte sehr viel weniger. Aber es reichte für uns beide, denn wir wurden ja noch von einer sehr kleinen Dosis angetörnt. Wir diskutierten erst gar nicht mehr darüber, dass ich was abbekam. Das war einfach klar. Detlef setzte sich an diesem Abend seinen Druck und ich bekam meinen Snief. Es war also nichts aus meinem unbestimmten Vorsatz geworden, erst in vier Wochen wieder mal H zu probieren.
Detlef und ich waren wieder zusammen. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen. Keiner sprach über die Wochen, in denen wir aneinander vorbeigegangen waren im Sound. Es war wieder so schön wie an dem Sonntag, an dem ich für Detlef gekocht hatte und wir beide dann zusammen Mittag gegessen hatten.
Ich war, glaube ich, glücklich darüber, wie es gekommen war. Hätte ich kein H probiert, wäre ich nie wieder mit Detlef zusammengekommen. Ich bildete mir ein, ich würde ein Wochenendfixer bleiben. Jeder, der mit H anfängt, bildet sich das ein, obwohl er natürlich niemanden kennt, der Wochenendfixer geblieben ist. Ich bildete mir obendrein noch ein, ich könne Detlef davor retten, ein richtiger Fixer zu werden. Das waren so die Lügen, mit denen ich happy war.
Mein Unterbewusstsein glaubte diese Lügen wahrscheinlich nicht. Wenn mich jemand auf H ansprach, rastete ich aus. Ich brüllte rum und schrie »abhauen«. Wie nach dem ersten Snief, als Astrid mich anmachte. Und ich begann alle Mädchen in meinem Alter zu hassen, denen ich ansah, dass sie auf dem gleichen Weg waren wie ich. Ich machte sie in der U-Bahn und im Sound aus, die kleinen Hasch-und Trip-Probiererinnen, die sich schon so anzuziehen versuchten wie Fixerbräute, die zwölf-und dreizehnjährigen Trebegängerinnen, die im Sound rumlungerten. Ich sagte mir immer: »Das miese kleine Stück landet beim H.« Obwohl ich sonst sehr ausgeglichen war, machten mich diese Mädchen richtig aggressiv. Ich hasste sie echt. Ich kam damals nie darauf, dass ich mich eigentlich selber hasste.
Nachdem ich ein paar Wochenenden gesnieft hatte, machte ich tatsächlich mal zwei Wochen Pause. Es machte mir gar nichts aus, bildete ich mir ein. Es ging mir körperlich auch nicht schlechter. Aber die alte Scheiße war wieder da. Ich hatte auf nichts mehr Bock, fing wieder an, mit meiner Mutter
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