Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
machte es nichts aus, in der U-Bahn die Stiefel auszuziehen und den Rock bis zum Bauchnabel hochzuziehen, um mich zu kratzen. Mich interessierte nur, was die Leute in der Clique von mir hielten.
Irgendwann ist Fixern dann alles egal. Da gehören sie auch zu keiner Clique mehr. Ich kannte einige von den alten Fixern, die schon fünf Jahre und länger drückten und überlebt hatten. Wir hatten ein sehr gemischtes Verhältnis zu den Alten. Diese totalen Einzelgänger hatten für uns irgendwie eine sehr starke Persönlichkeit. Es war auch gut, wenn man auf der Szene erzählen konnte, man kenne den und den von den Alten. Andererseits verachtete ich sie auch, weil sie ja alle total runtergekommen waren. Vor allem aber hatten wir Jungen eine urische Angst vor denen. Die hatten nun echt keinen kleinen Rest Moral, Gewissen oder Mitleid mehr. Die hauten eben dem Fixer-Kumpel mit einem Stein vor den Kopf, wenn sie auf Turkey waren und an einen Druck ranwollten. Der Wildeste von allen hieß Linker-Manne. Jeder nannte ihn Linker-Manne, denn er war echt der linkeste Typ von der Szene. Wenn die Dealer den sahen, rannten sie schneller als bei einer Bullenrazzia. Denn wenn der einen kleinen Dealer zu fassen kriegte, dann nahm er ihm das Dope einfach ab. Keiner wagte sich gegen ihn zu wehren. Schon gar nicht irgendein kleiner Fixer.
Ich habe Linker-Manne einmal voll in action erlebt. Ich hatte mich gerade auf einem Damenklo eingeschlossen, um mir einen Druck zu machen, da springt einer oben über die Trennwand rüber, regelrecht auf mich drauf. Linker-Manne. Ich wusste schon aus Erzählungen, dass das seine Tour war: auf Damentoiletten warten, bis eine Fixerbraut mit H kommt. Und ich wusste, wie brutal er sein konnte. Ich gab ihm also mein Besteck und mein Dope. Er ging gleich raus und stellte sich vor den Spiegel. Der hatte vor nichts mehr Angst. Dann knallte er sich den Schuss in den Hals. Der hatte keinen Punkt mehr am ganzen übrigen Körper, auf den er noch drücken konnte. Er blutete echt wie ein Schwein. Ich glaubte, er habe in die Halsschlagader gedrückt. Ihm machte das aber nicht das Geringste aus. Er sagte »Schönen Dank auch« und haute ab.
Wenigstens war mir klar, dass ich soweit nie kommen würde. Denn um so lange zu überleben wie Linker-Manne, musste man eben ein ganz starker Typ sein. Und das war ich nicht. Ich konnte ja nicht mal den Omas die Handtaschen auf der Kaufhaustoilette klauen.
In unserer Clique ging mehr und mehr alles um Anschaffen und Freier. Die Jungen hatten die gleichen Probleme wie wir. Da gab es eben noch gegenseitiges Interesse und da konnte man sich noch praktisch gegenseitig helfen. Wir Mädchen tauschten untereinander die Erfahrungen mit Freiern aus. Der Kreis der Freier, mit dem wir zusammenkamen, war mit der Zeit begrenzt. Wenn für mich ein Freier neu war, hatten ihn Stella oder Babsi möglicherweise schon gehabt. Und es war vorteilhaft, ihre Erfahrungen zu kennen.
Es gab empfehlenswerte, weniger empfehlenswerte und absolut mangelhafte Freier. Um persönliche Sympathien ging es bei der Bewertung der Freier kaum. Uns interessierte auch nicht, was für einen Beruf der Freier hatte, ob er verheiratet war und so weiter. Über den ganzen persönlichen Quatsch, den Freier so erzählten, redeten wir nie. Uns ging es bei der Bewertung der Typen allein um unseren Vorteil.
Einen Vorteil hatte ein Freier, wenn er panische Angst vor Geschlechtskrankheiten hatte und alles nur mit Gummi machen ließ. Die waren aber leider selten, obgleich sich natürlich die meisten Mädchen auf dem Amateurstrich irgendwann eine Krankheit einfangen und gerade die Drogensüchtigen Angst davor haben, zum Arzt zu gehen.
Ein Vorteil war es, wenn der Typ von vornherein nicht mehr wollte als allenfalls französisch. Dass man also nicht erst stundenlang mit ihm über die Bedingungen feilschen musste. Ein Plus hatte ein Freier aber auch, wenn er einigermaßen jung und nicht so ekelhaft fett war, wenn er einen nicht wie ein Stück Ware behandelte, sondern halbwegs freundlich blieb, uns vielleicht sogar mal zum Essen einlud.
Das wichtigste Kriterium für die Qualität eines Freiers war aber natürlich, wie viel Geld er für welche Leistung gab. Mangelhaft und zu meiden waren Kerle, die sich nicht an die Vereinbarungen hielten und in der Pension plötzlich mit Drohungen oder Lockungen zusätzliche Leistungen von uns zu erpressen versuchten.
Am genauesten beschrieben wir uns schließlich die miesen Ablinker, die hinterher das
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