Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
schien mal wieder heilfroh, dass sie eine Antwort bekam, die ihre schlimmen Befürchtungen nicht bestätigten. Was sie an diesem Sonntag erfahren hatte, reichte ja auch, um sie total fertigzumachen. Meine Mutter tat mir ehrlich leid und ich hatte ein schlechtes Gewissen ihretwegen.
Wir fuhren dann gleich los, um Detlef zu suchen. Der war nicht am Bahnhof Zoo. Er war auch nicht bei Axel und Bernd.
Abends fuhren wir zu Detlefs Vater. Detlefs Eltern waren auch geschieden. Sein Vater war Beamter. Er wusste längst, was mit Detlef los war. Meine Mutter machte ihm Vorwürfe, weil er ihr nichts davon gesagt hatte. Da hätte er fast angefangen zu heulen. Ihm war es ungeheuer peinlich, dass sein Sohn anschaffen ging und fixte. Nun war er froh, dass meine Mutter die Sache in die Hand nehmen wollte. Er sagte immer wieder: »Ja, da muss was geschehen.«
Detlefs Vater hatte im Schreibtisch eine ganze Sammlung Schlaf-und Beruhigungstabletten. Er gab sie mir mit, weil ich sagte, dass wir kein Valeron hätten und dass ein Entzug ohne Valeron eigentlich tierisch sei. Ich bekam vier oder fünf Mandrax, ein ganzes Röhrchen Gemetrin und fünfzig Stück 10er Valium. Ich schmiss schon auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn eine Handvoll Pillen ein, weil ich langsam auf Turkey kam. Ich war mit den Pillen dann eigentlich ganz gut drauf und schlief auch die Nacht durch.
Morgens stand dann tatsächlich Detlef vor der Tür. Sein Vater hatte ihn gleich gefunden. Detlef war schon voll auf Turkey. Das fand ich wieder astrein von ihm. Dass er sich nicht noch schnell einen Druck gemacht hatte, sondern schon auf Turkey bei mir ankam. Er hatte sich ja denken können, dass ich kein Dope mehr hatte. Und er sagte, er wolle auf gleicher Höhe mit mir sein, wenn wir mit dem Entzug anfangen. Das war wirklich astrein.
Detlef wollte also genauso wie ich echt entziehen. Er war auch ganz froh, dass es so gekommen war. Wir hatten ja beide keine Ahnung – genauso wenig wie unsere Eltern –, dass es heller Wahnsinn ist, wenn zwei befreundete Fixer gemeinsam versuchen zu entziehen. Denn irgendwann macht der eine den anderen wieder an, man schaukelt sich hoch bis zum nächsten Schuss. Das heißt, vielleicht wussten wir das damals auch schon aus Erzählungen. Aber wir machten uns eben Illusionen. Wir meinten ja immer, für uns gelte irgendwie nicht dasselbe wie für andere Fixer. Wir konnten uns sowieso noch nicht vorstellen, etwas Wichtiges getrennt zu tun.
Den Vormittag hielten wir uns mit den Pillen von Detlefs Vater ganz gut über Wasser. Wir redeten noch miteinander. Wir malten uns in rosa Farben unser Leben nach dem Entzug aus und wir versprachen uns, tierisch tapfer zu sein in den nächsten Tagen. Trotz der beginnenden Schmerzen waren wir noch ganz happy.
Nachmittags ging es dann voll los. Wir schluckten und schluckten diese Pillen und gossen noch ordentlich Wein obendrauf. Aber es half nichts. Ich hatte plötzlich meine Beine nicht mehr unter Kontrolle. Auf den Kniekehlen war ein unheimlicher Druck. Ich legte mich auf den Fußboden und machte die Beine lang. Ich versuchte, die Beinmuskeln anzuspannen und wieder zu entspannen. Aber ich hatte keine Kontrolle mehr über die Muskeln. Ich drückte die Beine gegen den Schrank. Und da waren sie dann. Ich kriegte die Beine nicht mehr weg vom Schrank. Ich wälzte mich auf dem Fußboden rum und die Füße blieben irgendwie am Schrank kleben.
Ich war total nass von eiskaltem Schweiß. Ich fror und zitterte und dieser kalte Schweiß lief mir übers Gesicht in die Augen. Dieser Schweiß stank tierisch. Ich dachte, das ist das tierisch stinkige Gift, was jetzt aus dir rauskommt. Ich kam mir echt vor wie auf meiner Teufelsaustreibung.
Detlef ging es noch schlechter als mir. Er war am Ausflippen. Er zitterte vor Kälte und zog sich plötzlich seinen Pullover aus. Er setzte sich auf meinen Stuhl in der Fensterecke. Seine Beine waren ständig in Bewegung. Er rannte im Sitzen. In wahnsinnigen Zuckungen gingen diese bleistiftdünnen Beine auf und ab. Er wischte sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht und bebte richtig. Das war schon kein Zittern mehr. Er krümmte sich immer wieder zusammen und schrie dabei. Magenkrämpfe.
Detlef stank noch schlimmer als ich. Das ganze winzige Zimmer war voll von unserem Gestank. Ich dachte daran, dass ich gehört hatte, dass Fixerfreundschaften nach einem geglückten Entzug immer kaputtgehen. Ich dachte auch, dass ich Detlef noch jetzt liebte, wo er so tierisch stank.
Detlef
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