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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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hätte ich sie selbst ohne meine Verdrängungskünste nicht vermutet. Ich war froh, wenn sie um halb neun anrief und sagte: »Muttichen, ich komm gleich, mach dir keine Sorgen.« Ich kam mit Christiane einfach nicht mehr zurecht.
    Manchmal allerdings hielt sie sich an meine Verbote. Dann sagte sie fast stolz am Telefon zu ihren Freunden: »Nein, heute darf ich nicht kommen. Ich bleibe hier.« Das schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Das war das Widersprüchliche. Einerseits schlug sie über die Stränge, war rotzfrech und ließ kaum mit sich reden. Andererseits schien sie Respekt zu haben, wenn klare Linien gezogen wurden. Doch es war bereits zu spät.
    Ende Januar 1977, an einem Sonntag, kam für mich die Stunde der Wahrheit. Sie war schrecklich. Ich wollte ins Bad. Die Tür war zu. Das war bei uns nicht üblich. Christiane war drin und öffnete nicht. In diesem Moment hatte ich Gewissheit. Und gleichzeitig war mir erstmals klar, dass ich mir die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte. Sonst hätte ich ja nicht plötzlich wissen können, was im Badezimmer passiert.
    Ich fing an gegen die Tür zu trommeln. Doch sie machte nicht auf. Ich bekam beinahe einen Tobsuchtsanfall. Ich schimpfte, ich bettelte, sie solle endlich aufmachen. Schließlich rannte sie an mir vorbei. Ich sah im Bad einen schwarzen Löffel und Blutspritzer an der Wand. Da hatte ich meine Bestätigung. Ich kannte das aus der Zeitung. Mein Freund sagte nur: »Glaubst du’s nun?«
    Ich lief ihr nach in ihr Zimmer. Ich sagte: »Christiane, was hast du gemacht.« Ich war völlig fertig. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich wusste nicht, soll ich nun losheulen oder rumbrüllen. Ich musste doch erst einmal mit ihr sprechen. Sie weinte herzzerbrechend und wollte mich nicht ansehen. Ich fragte: »Hast du dir Heroin gespritzt?«
    Sie gab keine Antwort. Sie schluchzte so, dass sie kaum sprechen konnte. Ich bog ihr mit Gewalt die Arme auseinander und sah dann die Bescherung. Sie hatte schon auf beiden Seiten Einstiche. Aber es sah nicht besonders schlimm aus. Überhaupt nicht. Es war nichts blau und man sah eigentlich nur zwei, drei Stiche, darunter auch den frischen. Der war noch ziemlich rot.
    Und dann gab sie es zu. Unter Tränen. Ich dachte in diesem Moment: »Ich muss sterben.« Ich glaube, ich wäre auch am liebsten gestorben. Ich war so verzweifelt, dass ich gar nicht denken konnte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Dann sagte ich: »Was machen wir nun?« Das habe ich Christiane tatsächlich gefragt. Ich selber war völlig hilflos.
    Das war also der Schlag, dem ich hatte ausweichen wollen. Das war es, was ich immer vor mir hergeschoben hatte. Aber ich hatte ja auch nicht gewusst, wie sich die Symptome äußern. Ich hatte bis dahin noch keine Abgeschlafftheit, nichts bei Christiane feststellen können. Sie war meistens munter und fidel. Das Einzige, was mir in den Wochen zuvor aufgefallen war: Sie war manchmal, wenn sie ein bisschen später kam, sehr schnell in ihrem Zimmer verschwunden. Ich hatte das auf ihr schlechtes Gewissen zurückgeführt. Wegen der Verspätung.
    Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, überlegten wir, was wir tun können. Dann gab Christiane zu, dass Detlef auch heroinsüchtig sei. Es hätte nur Sinn, wenn er gleichzeitig mit ihr entziehen würde. Andernfalls würden sie sich gegenseitig immer wieder verführen. Das leuchtete mir ein. Wir beschlossen, dass die beiden ab sofort zusammen bei uns entziehen sollten.
    Christiane wirkte ganz offen und ehrlich. Sie gestand mir auch sofort, dass Detlef auf dem Schwulenstrich am Bahnhof das Geld für Heroin verdient. Ich war entsetzt. Dass sie sich aus diesem Grund selber mit Männern abgibt, davon war überhaupt keine Rede. Ich hatte sie auch nicht in Verdacht, schließlich liebte sie Detlef. Und der, sagte sie, hätte immer genügend Geld für das Heroin verdient.
    Christiane beteuerte immer wieder: »Muttichen, glaube mir, ich will runter von dem Zeug. Wirklich.« Abends fuhren wir los, um Detlef zu suchen. Da sah ich zum ersten Mal bewusst diese ausgemergelten, erbarmungswürdigen Gestalten, wie sie auf und ab gingen zwischen den U-Bahnen. Und Christiane sagte: »So will ich nicht enden. Schau dir bloß diese abgefackten Typen an!« Sie selber sah ja noch relativ proper aus. Da war ich fast schon wieder beruhigt.
    Wir fanden Detlef nicht und fuhren deshalb zu seinem Vater. Der wusste über Detlefs Heroin-Abhängigkeit Bescheid, nicht aber, dass Christiane so weit war. Ich

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