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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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ruhiger und ausgeglichener zu sein, nachdem sie eine Zeit lang doch sehr aufsässig gewesen war. Sogar in der Schule schien es wieder besser zu gehen.
    Nach der Schule telefonierten wir regelmäßig miteinander und sie erzählte mir, was sie so macht. Dass sie zu Schulkameraden geht oder Detlef von seiner Arbeit abholt. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. An den Wochentagen war sie in der Regel zum Abendessen zu Hause. Und wenn sie sich mal verspätete, rief sie an und war eine Stunde später da. Manchmal ging sie dann noch ins Haus der Mitte oder traf sich mit Freunden, wie sie sagte.
    Sie half auch wieder im Haushalt mit, was ich oft mit einer kleinen Aufmerksamkeit anerkannte, mit einer Schallplatte oder einer Mark Taschengeld mehr. Mein Freund Klaus fand das nicht richtig. Er meinte, ich solle auch mal an mich denken. Christiane würde mich nur ausnutzen. In gewissem Sinne hatte er vielleicht Recht. Ich hatte eben immer dieses Gefühl, für Christiane etwas Besonderes tun zu müssen, sie für irgendetwas zu entschädigen. Aber so genau habe ich das damals noch nicht sehen können.
    Mein Freund war auch dagegen, dass ich Christiane erlaubte, bei ihren Freundinnen zu übernachten. Er glaubte ihr das nicht, dass sie wirklich bei einer Freundin schlief. Aber ihr nachzuspionieren – das war nicht meine Art. Das hatte mein Vater immer bei mir getan, ohne dass ich irgendetwas verbrochen hatte.
    Eines Tages erzählte mir Christiane dann, dass sie mit Detlef geschlafen hätte. »Muttichen«, sagte sie, »der war so lieb zu mir, das kannst du dir gar nicht vorstellen.« Ich glaubte nun zu wissen, warum sie am Wochenende immer bei Freundinnen übernachten wollte.
    Aber es war nun mal passiert. Und ich fand weiter nichts dabei. Von nun an erlaubte ich ihr auch gelegentlich, bei Detlef zu übernachten.
    Wie hätte ich auch verhindern können, dass die zusammen schlafen? Im Fernsehen und in der Zeitung wird von Psychologen oft genug betont, dass die heutige Jugend früher reif ist und dass man das Sexuelle nicht unterdrücken soll. Der Meinung bin ich auch.
    Christiane hatte ja immerhin einen festen Freund. Andere Mädchen aus der Nachbarschaft gingen heute mit diesem und morgen mit jenem. Da hat mich die feste Beziehung zu Detlef beruhigt.
    Andererseits war mir, wenn ich ehrlich bin, manchmal doch mulmig. Vor allem wegen Christianes neuen Freunden und Freundinnen, die sie im Sound kennengelernt hatte. Sie erzählte mir, dass die teilweise Rauschgift nehmen würden. Von Heroin sprach sie nicht. Die würden Hasch rauchen und Trips schmeißen. Sie hat mir ganz gräuliche Sachen geschildert, auch, dass ihre Freundin Babsi süchtig sei. Doch sie sprach so angewidert von diesen Dingen, fand das so abstoßend – ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sie das selber macht.
    Als ich sie fragte: »Warum gibst du dich mit diesen Leuten überhaupt ab?«, sagte sie: »Ach Muttichen, die tun mir so leid. Keiner will was mit ihnen zu tun haben. Und die freuen sich doch, wenn man mit ihnen spricht. Die brauchen doch Hilfe.« Und hilfsbereit war Christiane ja immer schon. Heute weiß ich, dass sie damals von sich selber sprach.
    Und eines Abends, mitten in der Woche, als sie erst um elf Uhr nach Hause kam, sagte sie: »Muttichen, schimpf bitte nicht mit mir. Ich war mit den Leuten in einem Release-Center.« Und ich fragte: »Was ist denn da los?« »Ja, wir führen da Gespräche und wollen versuchen, sie vom Rauschgift runterzukriegen!« Und dann sagte sie noch: »Wenn ich mal süchtig werde …«, und kicherte dabei. Da sah ich sie ganz erschrocken an. Bis sie meinte: »Na ja, ich sag das doch nur so. Bei mir ist alles in Ordnung.« »Und bei Detlef?«, fragte ich. Da war Christiane ganz empört: »Für Detlef kommt so was gar nicht in Frage! Das wäre ja das Letzte!«
    Das war im Winter ’76. Von da an hatte ich eine böse Ahnung, aber ich unterdrückte sie. Auch auf meinen Freund hörte ich nicht. Der wollte inzwischen jede Wette eingehen, dass Christiane Rauschgift nimmt. Aber ich wollte nichts auf sie kommen lassen. Man gesteht sich ja nicht so ohne weiteres ein, dass alles umsonst gewesen ist, dass man als Mutter versagt hat. Meine Tochter tut das nicht – darauf beharrte ich.
    Ich versuchte jetzt, Christiane an die kürzere Leine zu nehmen. Doch wenn ich gesagt habe: »Du bist zum Abendessen zu Hause«, dann war sie nicht da. Dann konnte ich nichts mehr machen. Wo sollte ich sie suchen in dieser Stadt. Auf dem Bahnhof Zoo

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