Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Mutter hatte keine Ahnung. Sie freute sich, dass ich so schön fett war, und ich kriegte die Kilos auch tatsächlich nicht so schnell wieder runter.
Um bei Detlef zu sein, musste ich jetzt oft zu seinem Freier Rolf gehen. Wir hatten ja nirgendwo sonst ein gemeinsames Bett. Ich mochte diesen Rolf von vornherein nicht. Er war total in Detlef verknallt. Und er war natürlich eifersüchtig auf mich. Wenn ich Streit mit Detlef hatte, war er ganz glücklich und stellte sich auf Detlefs Seite. Da bin ich dann regelmäßig ausgerastet. Detlef behandelte diesen Rolf wie eine total unterlegene Frau oder Freundin. Er schickte ihn einkaufen, ließ ihn kochen und abwaschen. Das ärgerte mich wieder, weil ich gern für Detlef eingekauft und gekocht hätte.
Ich sagte zu Detlef: »Du, wir sind ein Kleeblatt, das einfach nicht zusammenpasst.« Aber Detlef meinte, er habe kein anderes Bett. Und Rolf sei im Großen und Ganzen auch in Ordnung. Jedenfalls gäbe es kaum einen anderen Freier, der so wenig nervte wie Rolf.
Detlef machte mit Rolf, was er wollte. Er brüllte ihn an und sagte ihm: »Du kannst dich freuen, dass ich überhaupt bei dir wohne.« Detlef ging nur zu ihm ins Bett, wenn er dringend Geld brauchte. Detlef und ich hatten unser Bett im selben Zimmer wie der Rolf. Wenn wir zusammen schliefen, sah Rolf fern oder drehte sich einfach nur um. Er war total schwul und wollte es nicht sehen, wenn ich mit Detlef schlief. Wir waren alle drei schon ziemlich kaputte Typen.
Ich wurde die Angst nicht los, dass Detlef durch das Anschaffen selber schwul würde. In einer Nacht dachte ich schon, jetzt sei es mit Detlef so weit. Er musste zu Rolf ins Bett, weil er kein Geld mehr hatte. Ich lag im anderen Bett. Detlef hatte das Licht ausgemacht. Er tat das immer, wenn ich da war und er Rolf befriedigen musste. Das Ganze dauerte mir verdächtig lange. Und ich glaubte, Detlef stöhnen gehört zu haben. Ich stand auf und machte eine Kerze an. Die beiden waren unter der Decke zugange. Ich glaubte, dass sie sich gegenseitig anfassten. Das war gegen meine Abmachung mit Detlef: Sich anfassen zu lassen. Ich war wahnsinnig sauer. So sauer, dass ich nicht mehr sagen konnte, Detlef solle endlich zu mir kommen. Ich sagte: »Muss ja urisch Spaß machen.«
Detlef sagte gar nichts und Rolf wurde wütend. Er machte die Kerze wieder aus. Detlef blieb die ganze Nacht bei Rolf im Bett. Und ich heulte die Kissen voll. Ich flennte lautlos, weil ich nicht wollte, dass die beiden anderen hörten, wie mich das mitnahm. Am nächsten Morgen war ich so traurig und sauer, dass ich echt daran dachte, Detlef zu verlassen. Das H ging mehr und mehr an die Substanz unserer Liebe, ohne dass wir uns dessen voll bewusst waren.
Mir wurde jedenfalls jetzt klar, dass ich Detlef nicht allein hatte, solange wir auf H waren. Dass ich ihn mir mit seinen Freiern teilen musste, insbesondere mit Rolf. Umgekehrt war es natürlich anders. Ich musste wieder jeden Tag am Zoo anschaffen, und da ich meistens unter Zeitdruck war, konnte ich mir die Freier auch nicht mehr so aussuchen und all meine Bedingungen immer durchsetzen.
Um nicht so oft bei diesem Rolf sein zu müssen, war ich wieder mehr mit den anderen aus der Clique zusammen, vor allem mit Babsi und Stella. Aber es wurde auch immer schwieriger, sich mit ihnen zu verständigen. Jeder wollte nur noch stundenlang über sich selber reden und keiner wollte auch nur zwei Minuten zuhören. Babsi laberte da zum Beispiel über den Sinn des Bindestrichs auf einem Straßenschild, während Stella und ich erzählen wollten, wie wir von einem Dealer abgelinkt wurden und statt Dope Mehl kriegten. Wir schrien dann Babsi an: »Halt’s Maul.« Dann redeten Stella und ich durcheinander und brüllten uns gegenseitig an, weil jeder die Geschichte erzählen wollte. Die meisten Versuche einer Unterhaltung endeten also bald mit »Halt’s Maul«. Jede von uns brauchte dringend jemanden, der zuhörte. Den fanden wir aber gerade in der Clique nicht mehr. Es gab eben überhaupt keine echte Verständigung mehr. Mit Zuhörern rechnen konnte man nur noch, wenn man von Erlebnissen mit Bullen erzählte. Dann waren wir uns alle einig gegen die Bullen-Schweine. Da hatte ich immerhin einen Vorsprung vor den anderen. Im Frühsommer 1977 wurde ich schon das dritte Mal festgenommen.
Das war auf dem U-Bahnhof Kurfürstendamm. Wir kamen gerade von einem Freier. Dem hatten wir nur eine Nummer vorführen müssen – für 150 Mark. Wir waren also ganz happy, hatten
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