Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Kindersitz hinten, aber der Typ sah nicht link aus. Ich stieg ein, ohne noch viel zu überlegen. Ich einigte mich mit ihm auf fünfunddreißig Mark.
Wir fuhren zum Askanischen Platz. Da ist ein altes Bahnhofsgelände, das der DDR-Reichsbahn gehört. Wir fuhren da rauf. Es ging ganz schnell. Der Typ war nett und ich hatte gleich wieder mein gutes Feeling drauf. Ich vergaß sogar, dass der Typ ein Freier war. Er sagte, dass er mich gern wiedersehen würde. Aber das ginge erst mal nicht, weil er in drei Tagen mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Norwegen in Urlaub führe.
Ich fragte ihn, ob er mich noch zur Hardenbergstraße fahren könne, zur Technischen Universität. Er machte das sofort. An der Technischen Universität war vormittags die Szene.
Es war ein schöner warmer Tag, der 18. Mai 1975. Ich weiß das Datum noch genau, weil ich zwei Tage später Geburtstag hatte und fünfzehn wurde. Ich bin auf der Szene rumgeflippt und habe mit ein paar Typen gequatscht. Ich streichelte lange einen Hund. Ich war total happy. Ich fand es ein wahnsinnig geiles Gefühl, keine Eile zu haben und mit dem Druck so lange zu warten, wie ich Bock hatte. Ich war ja körperlich nicht mehr drauf.
Als ein Typ vorbeikam und fragte, ob ich Dope haben wollte, sagte ich dann Ja. Er ging vor zum Ernst-Reuter-Platz und da kaufte ich dann ein halbes Halbes für vierzig Mark. Ich ging gleich auf die Damentoilette am Ernst-Reuter-Platz. Die ist ziemlich sauber. Ich tat nur die Hälfte des Dopes auf den Löffel, weil man nach einem Entzug nicht gleich mit der vollen Menge wieder anfangen darf. Ich setzte mir richtig ein bisschen feierlich den Schuss. Weil ich dachte, ich sei zum letzten Mal auf der Szene.
Fast zwei Stunden später bin ich wieder aufgewacht. Mit dem Hintern hing ich im Klobecken. Die Nadel steckte noch im Arm. Meine Sachen lagen verstreut auf dem Fußboden der winzigen Klozelle. Aber ich war dann gleich wieder einigermaßen okay. Ich dachte mir, dass ich gerade den rechtzeitigen, nämlich den letzten Zeitpunkt gewählt hatte, um endgültig mit H aufzuhören. Mit dem geilen Kudammbummel war es nichts mehr. Das gute Feeling war weg. Ich aß in der Mensa Kartoffelpüree mit Porreegemüse für 2,50, kotzte aber alles natürlich gleich wieder aus. Ich schleppte mich noch auf den Bahnhof, um Detlef Auf Wiedersehen zu sagen, aber der war nicht da. Ich musste nach Hause, weil mein kranker Kater mich brauchte.
Die Mieze lag noch auf dem Fleck, auf den ich sie gelegt hatte. Auf meinem Kopfkissen. Ich reinigte erst mal meine Spritze und flößte ihr dann wieder Kamillentee mit Traubenzucker ein. Eigentlich hatte ich mir ja meinen letzten Tag als Fixerin etwas anders vorgestellt. Ich überlegte mir, vielleicht noch einen Tag dranzuhängen und auf dem Kudamm rumzuflippen, bevor ich zu Narkonon ging.
Dann kam meine Mutter und fragte, wo ich am Nachmittag gewesen sei. Ich sagte: »Auf dem Kudamm.« Sie meinte: »Du wolltest doch heute schon mal bei Narkonon vorbei, um dich nach allem zu erkundigen.«
Ich rastete gleich wieder aus und fing an zu brüllen: »Mensch, lass mich in Ruhe. Ich hatte eben keine Zeit. Verstehst du?« Meine Mutter brüllte plötzlich zurück: »Du gehst noch heute Abend zu Narkonon. Du packst sofort deine Sachen. Und du bleibst schon heute bei Narkonon.«
Ich hatte mir gerade ein Kotelett mit Püree gemacht. Ich nahm den Teller, ging aufs Klo, schloss mich ein und aß auf dem Klo. Das war also der letzte Abend bei meiner Mutter. Ich brüllte rum, weil sie gecheckt hatte, dass ich schon wieder auf H war, und weil ich mich selber ankotzte, dass ich mir doch noch einen Druck gemacht hatte. Und ich wollte dann auch selber zu Narkonon.
Ich packte ein paar Sachen in meine Korbtasche und steckte die Spritze, einen Löffel und den Rest vom Dope vorne in die Unterhose. Wir fuhren im Taxi nach Zehlendorf, wo das Haus von Narkonon war. Die Typen von Narkonon stellten an mich erst gar keine Fragen. Da wurde tatsächlich jeder aufgenommen. Die hatten sogar Schlepper, die über die Szene liefen und Fixer ansprachen, ob sie nicht mal zu Narkonon kommen wollten.
Aber an meine Mutter stellten die Typen Fragen. Sie wollten nämlich erst mal Kohle sehen, bevor ich aufgenommen wurde. 1500 Mark Vorauszahlung für den ersten Monat. Meine Mutter hatte natürlich nicht so viel Geld. Sie versprach, das Geld gleich am nächsten Vormittag vorbeizubringen. Sie wollte einen Kredit aufnehmen. Sie sagte, dass ihre Bank sofort ohne
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