Wir Kinder von Bergen-Belsen
bekommen, um die Rationen zu ergänzen.
Sonja, die von der SS wieder freikam, schickte uns Pakete mit Nahrungsmitteln, sodass wir immerhin genug zu essen hatten.
Auch ein warmer Mantel für mich war dabei und ein Paar warme Hosen für jeden von uns.
Einige Tage nach unserer Ankunft habe ich Herman getroffen. Er und seine Eltern waren in der Baracke 68. Wir verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander und gingen sogar zu den Turnstunden, die Onkel Max gab, um uns fit zu halten und damit wir uns nicht langweilten. (Onkel Max, der jüngere Bruder meines Vaters, war in derselben Nacht abgeholt worden wie wir, zusammen mit seiner Frau Clara.)
Etwa sechs Wochen nach unserer Ankunft in Westerbork hörten wir, dass ein Transport mit Häftlingen nach Deutschland geschickt werden sollte, und wir fragten uns, wer wohl dabei sein würde. Die Stimmung sank. Jeden Morgen wurde eine Liste mit Namen im Eingang der Baracke aufgehängt. Diejenigen, deren Namen auf der Liste standen, hatten sich mit ihrem Gepäck um sieben Uhr abends bereitzuhalten, alle anderen mussten ab sechs in ihren Baracken sein.
Den ganzen Tag über war das Lager ein Hexenkessel. Familien, die getrennt werden sollten, weinten. Eine Nachricht im Eingang teilte mit, dass Rabbi Blum jeden segnen würde, der es wünsche. Jung und Alt warteten in der Schlange, um von diesem wunderbaren Mann gesegnet zu werden. Ich ging auch hin, und so lange ich lebe, werde ich die freundlichen Augen nicht vergessen, mit denen er mich anschaute, bevor ich den Kopf senkte, um seinen Segen zu empfangen.
Um sieben Uhr kamen zwei Aufseher, um die Menschen, die es traf, zum Zug zu bringen. Der Zug bestand aus einer Reihe von Viehwaggons, auf deren Dächern Maschinengewehre befestigt waren, um Fluchtversuche während der Fahrt zu verhindern. Wie kann man das Elend derjenigen beschreiben, die Abschied nehmen mussten?
Gegen acht erhielt ich ein Päckchen — eine Uhr mit einem Foto Hermans darauf und einen Swann-Füller, Hermans kostbarsten Besitz. Ich wusste, dass Herman mir mit diesem Abschiedsgeschenk seine Liebe und seine Sorge mitteilen wollte. Ich weinte. Mir brach fast das Herz wegen dieser grausamen Trennung, und meine Mutter nahm mich in den Arm, um mich zu trösten. Um neun Uhr morgens fuhr der Zug, in dem auch Herman, seine Eltern und Rabbi Blum waren, mit unbekanntem Ziel los.
Einige Wochen nach jenem schrecklichen Abend kam ein Transport mit etwa hundert Personen in die Strafbaracke. Bald fanden wir heraus, dass die Eltern meines Vaters unter ihnen waren. Meinem Vater gelang es, die Erlaubnis zu einem Besuch zu bekommen, und so erfuhr er die ganze erbärmliche Geschichte.
Meine Großeltern hatten denen, die sie versteckten, viel dafür bezahlt, doch als das Geld zu Ende ging, haben sie sie an die Deutschen ausgeliefert. Sechs Wochen verbrachten sie anschließend im Gefängnis von Scheveningen, einem der schlimmsten Gefängnisse, die es während der deutschen Besatzungszeit in den Niederlanden gegeben hat. Meine Großmutter war Diabetikerin und hatte schon lange kein Insulin mehr bekommen. Sie sagte zu meinem Vater: »Ich bin froh, dass alles vorbei ist. Ich gebe auf. Ich bin schon halb tot.«
Am folgenden Sonntag durften wir unsere Großeltern sehen. Die Haare meiner Großmutter waren weiß geworden, sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, so dünn war sie geworden. Ich war nach ihr benannt und schon immer ihre Lieblingsenkelm gewesen.
»Mein Liebling«, sagte sie. »Wie groß du geworden bist.« Sie hielt mich fest im Arm, Tränen strömten ihr über das Gesicht.
»Bitte, Oma, weine nicht«, bat ich.
»Nun, junge Dame, bekomme ich etwa keinen Kuss?« Das war Opa, der versuchte, uns zu beruhigen.
Oma ließ mich los. Ich rannte zu meinem Opa und umarmte ihn. Er war auch dünn geworden, aber er hatte noch immer den
Schalk in den Augen, er war eigentlich ein fröhlicher, unbekümmerter Mann.
Wir blieben den ganzen Sonntagnachmittag mit den Großeltern zusammen, hatten ihnen Essen und etwas Kleidung mitgebracht, denn sie besaßen nichts. Während der nächsten Wochen, in denen meine Großeltern in Westerbork waren, besuchten wir sie so oft, wie es uns erlaubt wurde, bis am 25. Januar 1944 ein weiterer Zug kam und sie nach Auschwitz brachte.
Am 5. Dezember ist in Holland der Nikolaustag. Dann bekommen die kleinen Kinder, wenn sie das Jahr über brav gewesen sind, alle möglichen Geschenke. Drei Wochen vorher hatte ich die Aufsicht über die Kinder in unserer
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