Wir Kinder von Bergen-Belsen
schmeckten sauer und bitter.
»Vielleicht sind sie noch nicht reif«, sagte Mama.
Max und Jackie versuchten auch eine Beere, konnten sie aber ebenfalls nicht herunterbringen. Was für ein Jammer, sie sahen so appetitlich aus. Wir stellten den Napf mit den Beeren unter das Bett. Vielleicht würden sie durch das Stehen reifer werden. Ein paar Tage später, als mir der Magen vor Hunger knurrte, zog ich den Napf hervor. Die Beeren sahen noch immer so aus wie vorher, aber ich probierte sie trotzdem. Brrr, waren sie sauer. Ein Mann mittleren Alters, der vorbeikam, sah meine Grimasse und die Schüssel mit den Beeren.
»Ein Jammer, dass wir sie nicht essen können«, sagte ich. »Vielleicht sind sie giftig.«
Er streckte die Hand aus und ich gab ihm ein paar Beeren. Er gab zu, dass man sie roh nicht essen könne und schlug vor, wir sollten versuchen, sie zu kochen.
»Wie sollen wir sie denn kochen?«, fragte ich.
Mein neuer Freund sagte, er würde etwas organisieren, und ging. Zwanzig Minuten später kam er mit einem kleinen Spiri-tuskocher zurück, nur besaßen wir keinen Spiritus. Also nahm ich den Brenner heraus, sodass nur das Gestell eines Kochers zurückblieb und schickte Jackie los, um ein paar Zweige oder irgendwelche Holzstücke zu suchen. Wir schnitten das Holz in Splitter, und nach einigen Versuchen gelang es auch, den Ofen zum Funktionieren zu bringen. Ich stellte den Topf mit den Beeren darauf, aber es nützte nichts. Außerdem verbrannte das Feuer viel zu schnell. Immer wieder versuchte ich es von neuem, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, die Beeren zum Kochen zu bringen. Schließlich halbierte ich die Beerenmenge im Topf, aber auch das brachte nichts. Henri, mein neuer Freund, war gegangen, als ich mit dem Beerenkochen anfing, denn wir wussten alle, dass es strafbar war, in den Baracken Feuer zu ma-chen. Ab und zu kam er zurück, um sich nach den Fortschritten zu erkundigen. Nach über einer Stunde, als ich bereit war, aufzugeben, kam er mit ein paar Spirituswürfeln zurück. Nun war es leicht. Das Wasser kochte, und die Beeren kochten auch. Ich stellte mir vor, eine berühmte Köchin zu sein und die wunderbarste Marmelade herzustellen, die wir auf unsere trockene, harte Brotration schmieren könnten. Aber die Spiritusstücke verbrannten sehr schnell, und es wurde klar, dass weiteres Material nötig wäre, um die Arbeit zu vollenden. Ich warf Henri einen bittenden Blick zu, und er sagte, er wolle versuchen, noch etwas zu bekommen. Er kam mit ein paar weiteren kleinen Spiritusstückchen zurück und sagte, diese seien endgültig die letzten, die er beschaffen könne. Resigniert zündete ich das letzte an und starrte in die Flamme. Jede Faser meines Körpers war auf die Flamme gerichtet, bemüht, ihr genug Hitze zu geben, um die Beeren essbar zu machen. Langsam wurde die Flamme kleiner und kleiner, bis nur noch ein Funke übrig war. Vorsichtig probierte ich die klebrige Masse am Boden des Napfes, aber das Zeug war noch immer nicht essbar. Ich gab Henri den Kocher und die restlichen Beeren und sagte, sie seien nicht gut, aber er nahm sie glücklich an. Mit vielem Dank verließ er mich, ich sah ihn nie wieder.
Alle Frauen wurden zum Appell gerufen, und die SS suchte aus ihnen Gruppen heraus, die in der Küche das Essen für das Lager kochen sollten. Meine Mutter gehörte zu den Ausgewählten für die Schälküche. Sie musste um drei Uhr zum Appell aufstehen, begann um vier Uhr morgens mit der Arbeit und kehrte erst um sechs Uhr abends zurück. Deshalb bekam ich den Auftrag, mich um meine beiden Brüder zu kümmern, ihre Kleider zu waschen, ihre Betten zu machen und ihre tägliche Essensration abzuholen.
Wir waren nun schon drei Wochen in Bergen-Belsen. Die Verbrennung an meinen Füßen wollte nicht heilen und die Wunde sah entzündet aus. Der Lagerarzt riet mir, eine Woche liegen zu bleiben, und gab mir ein Attest, mit dem ich am täglichen Appell nicht teilnehmen musste.
Unsere Baracke war sauber und angenehm, und ich war glücklich, dass ich im Bett liegen und ein Buch lesen konnte, das mir jemand geliehen hatte. Es war friedlich hier, als fast alle zum Appell gegangen waren. Nur am anderen Ende des Schlaf-raums lag eine andere Frau krank im Bett und schlief. Nach etwa zwei Stunden kehrten die Frauen und Kinder vom Appell zurück und bald danach kam unser Mittagessen. Auch meine Mutter kam von der Arbeit früher zurück, da in der Schälküche nicht viel losgewesen war. Ich beschloss, aufzustehen
Weitere Kostenlose Bücher