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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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und meiner Mutter im Essraum ein wenig Gesellschaft zu leisten. Mama saß mit ein paar anderen Frauen an einem der Tische und unterhielt sich. Ich hatte gerade meinen Stuhl herangezogen, um mich zu ihnen zu setzen, als Flugzeuglärm zu hören war. Auf den Wachttürmen wurde mit Maschinengewehren geschossen. Alle schrien, auch ich wurde von Panik gepackt und rannte zurück zu meinem Bett. Kugeln flogen um mich herum.
    »Hetty, schnell, leg dich auf den Boden«, schrie meine Mutter.
    Ich hörte ihre Rufe über das Getöse hinaus, warf mich auf den Boden und sah dabei noch, wie die kranke Frau aus dem Schlafraum aus dem Bett sprang und auf uns zurannte. Eine Kugel traf sie, und, wie im Traum, sah ich sie blutend zusammenbrechen.
    »Sie ist getroffen, sie ist getroffen«, schrie ich weinend meiner Mutter zu.
    Ungefähr fünf Minuten lang beschossen die Flugzeuge das Lager. Als sie verschwanden, sah jemand nach der Frau. Eine Tragbahre wurde herbeigeschafft und sie wurde zur Krankenbaracke gebracht. Noch in derselben Nacht starb sie. Erst zweiund-dreißig Jahre alt, war diese junge Frau die erste Tote unserer Baracke. Ich blieb den Rest des Tages dicht bei meiner Mutter, und als wir an diesem Abend schlafen gingen, fand ich zwei Gewehrkugeln in meinem Bett. Eine von ihnen hatte ein großes Loch in mein Buch geschlagen.
    Immer wieder kamen neue kleine Gruppen von Menschen ins Lager: Sinti und Roma aus Ungarn und jüdische Familien aus Italien. Lastwagen kamen mit abgebrochenen Baracken aus anderen deutschen Lagern und die Männer unseres Lagers mussten die Baracken auf einem Teil des Appellplatzes wieder aufbauen. Die meisten von ihnen waren ungeübt in körperlicher Arbeit, weshalb die Arbeit nur langsam vorwärts ging. Um den Bau voranzutreiben, schafften die SS-Männer Gefangene aus dem Lager herbei, das neben unserem lag, und zum ersten Mal sahen wir sie aus der Nähe. Im Gegensatz zu uns trugen sie weiße und graue Baumwollkleidung, die Uniform der Konzentrationslager. Früh am Morgen marschierten sie in unser Lager, geübt, sich korrekt zu bewegen. Wenn sie auf ihrem Weg durch das Tor gingen, rief der Kapo »Mützen ab, Augen rechts!«, und sie salutierten vor dem SS-Scharführer, der sie zählte, während sie vorbeigingen. Wenn sie die Mützen abnahmen, entblößten sie ihre geschorenen Köpfe. Sie sahen mager und mitgenommen aus. Der Kapo brüllte seine Befehle und die Männer bewegten sich. Sie hoben und schleppten Bretter und hämmerten die Baracken zusammen. Sie wussten, wie man der riesigen Peitsche des Kapo auswich, deren Schläge sie ertragen mussten, wenn sie nicht schnell genug arbeiteten. Sie waren aus Osteuropa und meiner Meinung nach sprachen sie Polnisch oder Estnisch. Wir konnten sie nicht verstehen.
    Ich stand mitten in einer Gruppe jüngerer Kinder und schaute aus der Entfernung zu. Nach etwa einer Stunde ging ich zurück zur Baracke, ich konnte es nicht mehr mit ansehen. Und doch erinnerte ich mich an das Lächeln, das ein Gefangener mir schenkte, gerade als er mit einem anderen einen schweren Holzbalken heben sollte. Sein erschöpftes Gesicht wurde lebendig durch dieses Lächeln, als wollte er mir sagen: »Ich habe noch nicht aufgegeben.«
    Unsere Baracke wurde immer voller. Jackies Bett war besetzt, so musste ich meines mit ihm teilen, aber zum Glück war ich nicht besonders groß und so schliefen wir jeder an einem Bettende. Unsere Koffer deponierten wir am Fußende von Mamas
    Bett. Sie stand jede Nacht um drei Uhr auf und ging in die Schälküche. Papa verließ seine Baracke um sechs, um zur Arbeit zu gehen. Wir sahen ihn zum Mittagessen und abends nach der Arbeit für etwa eine Stunde. Ich wartete immer in der Nähe des Tores auf ihn, und wenn er todmüde ankam, sagte er oft zu mir: »Ich halte es nicht mehr lange durch. Wann werden wir wieder frei sein? Warum dauert es so lange Zeit?«
    Dann nahm ich seine Hand, und das Herz tat mir weh, ihn so traurig zu sehen.
    »Los, Papa, du schaffst es«, sagte ich. »Verlier bloß nicht die Hoffnung. Ich bin sicher, es dauert nicht mehr lange.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ja, ich bin sicher«, antwortete ich. »Denk doch nur an den Spruch: >Die letzten Kisten sind die schwersten.<«
    Ohne viel zu sprechen, gingen wir dann zu unserer Baracke, wo Jackie und Max wie üblich oben auf unseren Betten schon auf ihn warteten. Später ging Papa mit den Jungen zum Tor, um auf Mama zu warten. Sie zog zur Arbeit immer hohe Lederstiefel an, die sie aus Holland

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