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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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alle hinaus auf den Platz, der später der Appellplatz wurde. Wir kamen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Lastwagen in das Lager einfuhr. Auf dem ganzen Gepäck saßen mein Vater und andere Männer. Wir riefen ihm zu, und er lächelte breit, als er uns entdeckte. Der Lastwagen hielt, Papa sprang herunter und lud, zusammen mit den anderen Männern, die Sachen ab. Alle suchten ihre Habseligkeiten zusammen. Wir mussten uns anstrengen, alles zur Baracke 27 zu bringen, wo meine Mutter, Jack und ich untergebracht waren. Es war angenehm, wieder die Decken zu haben, die wir aus Holland mitgebracht hatten, um unsere Betten für die Nacht herzurichten. Wir besaßen auch einige Laken und als Kopfkissen stopften wir Pullover in Kissenbezüge. Die Koffer mit dem Rest unserer Kleidung stellten wir auf Jackies Bett, ans Fußende. So konnten wir auf unsere Sachen aufpassen, denn einen anderen Platz gab es nicht.
    Etwas früher waren zwei Männer in die Baracke gekommen und hatten gefragt, ob jemand von uns Deutsch könne. Eine magere Dame mit einem harten Gesicht war vorgetreten. Sie war eine jener Flüchtlinge, die vor dem Krieg in den Niederlanden Asyl gefunden hatten. Sie sprach Niederländisch mit einem schweren, deutschen Akzent und unterhielt sich mit den beiden Männern. Obwohl wir nicht viel von dem verstanden, was gesagt wurde, begriffen wir, dass sie von nun an unsere Baracken-iiiteste sein würde. Als die Männer verschwunden waren, übernahm sie die Herrschaft, als habe sie nie etwas anderes getan. Und auch, als sie uns das Recht gab, einen bestimmten Schrank an der Wand des Essraums zu benutzen, weckte ihre Position bei uns innere Widerstände, denn wir wollten keine Befehle von dieser Deutschen entgegennehmen, die wir ein paar Jahre zuvor in unser Land aufgenommen hatten.
    Als wir unsere Koffer ausgepackt hatten, brachte Mama die Nahrungsmittel und Kochutensilien, ein Bügeleisen und noch ein paar Dinge wie Waschpulver und Seife, die wir mitgebracht hatten, in den angewiesenen Schrank. Gegen ein Trägerkleid lauschte sie ein Schloss, um Diebstähle zu verhindern.
    Ungefähr um sieben Uhr brachten Max und Papa ihre Betttücher und etwas frische Wäsche für den nächsten Tag zur Baracke 14. Bis zum nächsten Morgen sahen wir sie nicht mehr.
    Unsere Baracke war die letzte, die belegt worden war, und obwohl sie sechzig Betten hatte, waren nur dreißig Menschen da, sodass wir die freie Wahl hatten. Pritschen und Strohmatratzen waren neu und offensichtlich gut genug für Menschen, die gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht werden sollten. Es gab eine Bettenreihe an der Fensterwand und zwei Reihen mitten im Raum. An diesem ersten Abend wurde uns kein Essen gebracht, deshalb gab uns Mama ein paar Kekse. Wir waren so müde, dass wir alle um acht Uhr im Bett lagen.
    Am nächsten Morgen erwachten wir beim ersten Lichtstrahl und betrachteten unsere neue Umgebung. Obwohl es Winter war, schien die Sonne, was unserem Schlafraum eine freundliche Atmosphäre verlieh. Einige Frauen waren früher aufgewacht als wir und schon im Waschraum gewesen. Mama, Jackie und ich zogen mit Handtüchern und Seife los, um uns zu erfrischen. Der Kaum war leer bis auf eine ältere Dame, die, wie Gott sie ge-schaffen hatte, an einem Becken stand. Nie zuvor hatte ich einen fremden Menschen nackt gesehen und erschrak sehr. Die Frau beachtete uns nicht und fuhr mit dem Waschen fort. Lieber Gott, dachte ich, sehen etwa alle Frauen so aus, wenn sie alt werden? Die Frau war sehr groß und knochig, mit einer gelben, trockenen Haut. Ihre Brüste, die aussahen wie leere Papiertüten, hingen ihr geradezu bis zur Taille. Meine Mutter bemerkte meine Verblüffung und flüsterte: »Hör auf, hinzuschauen. Lass der Frau ein bisschen Privatsphäre.«
    Jackie war sichtlich auch erschrocken, aber Mama drehte ihn mit festem Griff in die andere Richtung und befahl ihm, sich zu waschen. Aber wir beide, Jackie und ich, konnten einfach nicht anders, und unsere Blicke wanderten immer wieder hinüber zu der Frau, die nach einer Weile begann, sich abzutrocknen, und die dann mit einer schnellen Bewegung ihre Brüste über die Schultern warf, um sich auch vorn ganz abzutrocknen. Das wurde sogar meiner Mutter zu viel. Unsere Gesichter und unsere Hände waren noch nass, als sie uns förmlich aus dem Waschraum schob. Draußen fingen wir alle drei an zu lachen und Jackie verpasste der Frau sofort einen Namen, »Frau Kuh«. Die Frau hatte keinerlei Scham darüber gezeigt,

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