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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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sie.
    Die Jungen senkten die Köpfe und wichen Mamas Blick aus. Es blieb an mir hängen, sie über das zu informieren, was am Nachmittag geschehen war, und es fiel mir nicht leicht. Wie erzählt man seiner Mutter, dass der Vater im Bunker ist? Ich fing an zu stottern.
    Mama reagierte alarmiert.
    »Was ist los, Hetty? Was ist passiert?«, drängte sie.
    Die schreckliche Geschichte brach aus mir heraus und meine Mutter erschrak.
    »Kommt mit zur Baracke, es wird kalt«, sagte sie, als sie sich wieder gefasst hatte. »Dann gehe ich zu Herrn Weiss, um herauszufinden, was passiert ist, und ob wir für Papa ein paar Decken und etwas zu essen zum Bunker bringen können.«
    Mama wusch sich das Gesicht, bevor sie mit Max Herrn Weiss suchte. Sie blieben vielleicht eine Stunde weg.
    »Hetty, beeil dich! Gib mir zwei Decken und ein Kissen«, sagte Mama. »Ich muss die Sachen so schnell wie möglich zu Herrn Weiss bringen, ab acht Uhr ist Ausgangssperre. Ich komme gleich wieder zurück. Mach inzwischen etwas Platz für Max, er wird heute Nacht bei uns schlafen.«
    »Warte Mama, nimm eine Brotration für Papa mit«, sagte ich. Ich öffnete den Koffer mit unseren Rationen, wickelte Papas in das erste saubere Kleidungsstück, das ich fand — eine von Mamas Unterhosen —, und gab sie ihr. Sie verschwand mit Max, und ich hoffte nur, dass sie vor der Ausgangssperre zurück sein würden.
    Es war eine Minute vor acht, als Mama und Max auftauchten, und obwohl Mama völlig erschöpft war, sah ich ihr an, dass sie sich etwas wohler fühlte. Zu viert saßen wir oben auf dem Bett, während Mama berichtete, was geschehen war. Herr Weiss hatte ihr gesagt, dass Papas Angriff auf den Judenältesten von der SS sehr ernst genommen wurde und ihm der Transport in ein Konzentrationslager drohte. Doch Albala und Herr Weiss hatten Scharführer Lübben dazu überredet, Vater vor unser eigenes Gericht stellen zu lassen. Das sollte gleich am folgenden Tag passieren, er werde angemessen bestraft werden. Lübben hatte sich damit einverstanden erklärt, aber gesagt, er würde sich überlegen, welche zusätzliche Strafe er verhängen wolle.
    In dieser Nacht konnten Mama und ich nicht schlafen, nicht nur, weil Max bei uns lag und es deshalb sehr eng war, sondern auch, weil unsere Gedanken sich ständig mit Papa beschäftigten. Der Wind heulte durch das Lager und es war sehr kalt. Ich betete, dass es Papa gut ging, und war froh, dass er einige unserer Decken hatte. Mama und ich unterhielten uns leise, um die anderen nicht zu wecken.
    »Morgen werde ich zu Lübben gehen«, sagte sie.
    »Warum?«, sagte ich. »Tu's nicht, es ist zu gefährlich. Denk darüber nach und morgen sehen wir weiter. Und jetzt versuche noch etwas zu schlafen, du musst um drei Uhr wieder aufstehen.«
    Mama stimmte zu und versuchte, sich etwas bequemer hinzulegen.
    »Schlaf du auch, Hetty«, sagte sie, als sie die Augen zumachte.
    Ich betrachtete meine Mutter: Ihre Augenlider waren durchsichtig weißlich-blau, ihr Gesicht war schmaler geworden und ihre Haut war sehr weiß gegen ihre schwarzen Haare. Trotz allem war sie immer noch meine schöne Mutter. Ihre Atemzüge wurden tiefer und zeigten mir, dass sie eingeschlafen war. Ich beugte mich vorsichtig über sie und küsste ihre Wange, die sich unter meinen Lippen sehr eingefallen anfühlte.
    »Oh, lieber Gott«, betete ich, »hilf uns, damit das alles bald vorüber ist.« Ich drehte mich auf die Seite, um auch ein wenig Schlaf zu finden. Irgendjemand schnarchte und der Schlaf wollte nicht kommen. Ich starrte auf die Konturen der anderen Schlafenden, während die Stunden langsam vorbeigingen.
    Hermans Uhr, die ich nicht vom Handgelenk genommen hatte, seit er deportiert worden war, zeigte drei Uhr. Sanft weckte ich meine Mutter und sagte ihr, dass sie zur Arbeit gehen müsse. Sie war so müde. Sie zog sich oben auf dem Bett an, aber in ihre Schuhe schlüpfte sie erst, als sie hinuntergestiegen war.
    »Ich will sehen, ob ich zum Mittag kommen kann«, flüsterte sie, um Max und Jackie nicht zu wecken. »Ich werde sagen, ich bin krank, und ich bin sicher, dass Koch (der für die Schälküche verantwortliche SS-Offizier) mich gehen lässt. Er ist der vernünftigste SS-Mann von allen. Wenn ich es hinkriege, will ich zu Lübben oder Rau gehen, wenn die Arbeitskommandos nach der Mittagspause wieder zur Arbeit losmarschieren.«
    Ich konnte nichts tun. Mama hatte ihren Entschluss gefasst. Man sagt, eine jiddische Mutter kämpfe bis zum Tod für ihre

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