Wir Kinder von Bergen-Belsen
Familie, und hier hatte ich den Beweis dafür. Ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit würde sie für ihren Mann ein Wort einlegen.
»Schau nach den Jungen«, sagte Mama. Sie zog meinen Kopf hinunter und küsste mich. »Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät. Versuch doch, noch ein bisschen zu schlafen.«
Sie ging. Meine tapfere, kleine Mutter. Oh, wie lieb ich sie hatte!
Ich musste eingeschlafen sein, denn ich wachte auf, als zum Appell gerufen wurde. Schnell zog ich mich an und rief Max und Jackie zu, sie sollten sich sehr warm anziehen, denn es war zwar sonnig draußen, aber noch immer kalt. Jackie und mir wickelte ich einen Schal um den Kopf, während Max noch immer die Mütze trug, die Oma Hetty gestrickt hatte, als sie untergetaucht war. Ein Mann aus dem Widerstand hatte uns damals das Päckchen gebracht, in dem sich ebenso ein paar gestrickte Kniestrümpfe für mich befunden hatten. Ich trug sie, seit wir in ßergen-Belsen angekommen waren. Und sie hielten meine Füße warm und trocken während der langen Stunden auf dem Appellplatz.
»Los, zum Appellplatz, die meisten Leute sind schon draußen«, drängte ich Max und Jackie.
Als wir ankamen, hatten sich die Leute aus unserer Baracke fünf Meter entfernt von dem Bunker aufgestellt, in dem sich Papa befand. Ich hatte den Bunker vorher nie eines Blickes gewürdigt, aber nun, da Papa drin war, war es anders. Das Backsteingebäude war etwa zwei auf vier Meter groß, die Tür mit einem schweren Schloss versperrt. In einer Wand befand sich eine viereckige Öffnung, vermutlich ein Fenster, das nun aber mit di-cken Sperrholzplatten vernagelt war. Die SS-Männer waren noch nicht gekommen, und so hatte ich die Möglichkeit, näher an die Wand mit dem besagten Fenster heranzukommen.
»Papa«, rief ich leise, »geht es dir gut?«
Ich hörte die Stimme meines Vaters. »Bist du es, Hetty?«
»Ja«, sagte ich. »Bist du in Ordnung?«
»Ja, ich bin in Ordnung«, sagte Papa, »hier ist es ziemlich dunkel, sie haben das Fenster zugemacht.«
»Das sehe ich, ist es dir warm genug? Es war sehr kalt letzte Nacht.«
»Ja, ja, mach dir keine Sorgen, mir ist es warm genug.«
Ich konnte die Barackenältesten hören, die den Leuten befahlen, sich ordentlich hinzustellen.
»Ich muss jetzt gehen, Papa, ich komm später wieder.«
Die SS nahm es wieder mal genau. Sie hatten uns schon dreimal gezählt und festgestellt, dass zwei Leute fehlten. Sie brüllten, wir würden nicht ordentlich in der Reihe stehen, und ab und zu schlugen sie wahllos auf einen Unglücklichen ein, der zufällig vor ihnen stand. Wie konnten Leute fehlen? Es gab keinen Weg aus dem Lager. Überall standen Wachen.
Als wir uns damit abgefunden hatten, dass wir diesmal lange stehen müssten, kamen ein paar Männer näher. Lübben, der für den Appell verantwortliche Scharführer, Albala und zwei seiner Leutnants gingen an uns vorbei zum Bunker. Mein Herz schlug heftig. Was stand Papa bevor? Die Bunkertür wurde geöffnet, mein Vater musste herauskommen. Ich spähte angestrengt durch die Menschenmenge, um zu sehen, was passierte, aber ich konnte nur Lübbens laute Stimme hören, als er meinen Vater ansprach. Ich fühlte mich so hilflos. Was konnte ich tun? Dann war es vorbei. Wir hörten, wie die Bunkertür geschlossen wurde, und alle gingen zurück zu Albalas Büro.
An diesem Morgen dauerte es über drei Stunden, bevor Albalas Pfeife das Ende des Appells angab. Normalerweise ging ich nach dem Appell sofort wieder in die Baracke, aber diesmal hatte ich es nicht eilig. Auch Max blieb zurück. Zusammen schlenderten wir langsam auf den Bunker zu und blieben in ungefähr einem Meter Entfernung stehen. Max drehte sich zu mir und tat, als würde er sich mit mir unterhalten, aber in Wirklichkeit wandte er sich an Papa im Bunker. Papa antwortete ihm sofort. Max fragte, was passiert sei, als Lübben und Albala während des Appells zum Bunker gekommen waren.
»Lübben hat gesagt, ich solle mich bei Albala entschuldigen, und als ich das getan hatte, verpasste er mir zwei heftige Schläge an den Kopf«, sagte Papa.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Papa?«, fragte Max.
»Ja, ihr braucht keine Angst zu haben. Kannst du mir etwas zu essen besorgen, Hetty? Sie ist doch bei dir, Max, nicht wahr?«
Ich sagte ihm, dass ich zu Herrn Weiss gehen und ihn bitten würde, ihm eine unserer Essensrationen und etwas zu trinken zu bringen.
»Gut«, sagte Papa. »Schau, was du tun kannst.«
Max und ich gingen zur
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