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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Scheinwerfern die Umgebung. Als der Fahrer unseren Lastwagen anließ, ging eine der Frauen hin und fragte, was sie mit den Kindern anfangen sollten. »Ist mir egal«, sagte er. »Von mir aus können sie in der Hölle braten.«
    Die Lastwagen fuhren davon, und wir blieben, dicht aneinander gedrängt, in der Dunkelheit zurück. Die Kinder waren verschreckt und weinten. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich vor uns die verschwommenen Umrisse einer Baracke erkennen. Eine der Gefangenen sagte, wir sollten das unheimlich aussehende Gebäude betreten. Langsam bewegten wir uns vorwärts. Als wir an die Tür kamen, sagte eine der beiden Häftlingsfrauen etwas in einer Sprache zu uns, die wir nicht verstanden, und deutete in die Richtung, die wir einschlagen sollten. Ich hatte Angst, wagte sie aber wegen der Kleinen nicht zu zeigen.
    Kurz nachdem wir das Gebäude betreten hatten, schien mein Herzschlag für einen Moment lang auszusetzen. Vor uns lag etwas wie ein stockdunkler, langer Korridor, an dessen Ende eine alte Frau stand und eine Kerosinlampe hochhielt. Wenn es je wirklich eine böse, alte Hexe gegeben hatte, musste sie es sein. Ihr Anblick erschreckte die Kinder, sie drückten ihre Gesichter in meinen Mantel und hinderten mich am Weitergehen. Die Gestalt am Ende des Korridors bewegte sich nicht. Sie stand da, still wie der Tod, und hielt noch immer die Lampe hoch, die ihren Schatten auf die Wand hinter ihr warf. Ich wusste, dass wir weitergehen mussten, aber die Kinder hingen noch immer schwer an mir. Ich sagte mit fester Stimme, sie sollten mitkommen und bräuchten keine Angst zu haben. Entweder würden sie mit mir gehen oder ich würde sie hier allein zurücklassen. Das hatte den erwünschten Erfolg, sie lockerten ihren Griff und ich konnte mich vorwärts bewegen. Ich befreite meine Hand aus dem Griff eines kleinen Mädchens, das sie fest umklammert hielt, und erlaubte ihm, sich an meinem Mantel festzuhalten. Nun hatte ich die Hände frei und schob die Kinder hinter mich, um sie, soweit es möglich war, mit meinem Körper zu schützen. So bewegten wir uns langsam auf die Gestalt zu. Als wir näher kamen, erkannte ich, dass die Frau in einer Türöffnung stand, durch die ein blasses Licht in den Korridor fiel. Als wir sie erreicht hatten, deutete sie wortlos auf die Tür. Vorsichtig, in gebührendem Abstand von der Frau, die, wie ich inzwischen überzeugt war, eine Hexe sein musste, betraten wir den Raum.
    Was für eine Erleichterung! Der Raum war sauber, und es gab etwa zehn Doppelpritschen, auf denen wir schlafen konnten. Die Betten nahmen ungefähr die Hälfte des Raums ein, der ansonsten leer war. An einer Wand standen zwei Stühle und an der Decke hing eine nackte Glühbirne, die ein schwaches Licht verbreitete, genug aber, um alles zu erkennen. Die Kinder waren ebenfalls erleichtert und ließen meinen Mantel los. Einige liefen schon auf die Betten zu.
    Ich stellte meinen Koffer ab, als ich vom Flur her lautes Schreien hörte. Nun hatten die Kinder vom zweiten Lastwagen die Hexe entdeckt. Schnell lief ich zur Tür, damit die erschrockenen Kinder mich sehen konnten. Ich beruhigte sie und sagte, sie sollten hereinkommen, alles sei in Ordnung. Schon bald waren alle zusammen in dem Raum. Eva und ein anderes Mädchen hatten die Babys getragen und legten sie nun auf ein Bett. In der Zwischenzeit brachte eine andere Gefangene unsere Koffer und die anderen Habseligkeiten herein und stellte sie mitten ins Zimmer, auf den freien Platz. Dann gingen sie und wir waren allein.
    Iesie und Bram hielten noch immer unsere kostbaren Schachteln mit den Broten. Ich sagte, sie sollten sie auf einen Stuhl stellen und fragte, wie viele Kinder noch kein Brot bekommen hatten. Iesie gab jedem eine Scheibe Brot aus der halb leeren Schachtel.
    Eva und ich übernahmen die Aufsicht. Jeder musste sich ein Bett suchen und schlafen gehen. Den Kindern, die noch zu klein waren, um auf ein Bett zu steigen, halfen die größeren Jungen. Erstaunlicherweise schliefen die beiden Babys noch, obwohl sie doch nichts zu essen bekommen hatten. Wir hatten ihnen nur etwas Wasser zu trinken gegeben, vielleicht hatte das ihre Mägen gefüllt.
    Dann sagte ein kleiner Junge: »Ich muss aufs Klo.«
    Wir schauten uns an. In unserem Elend hatten wir diesen Aspekt einfach übersehen. Was sollten wir tun? Durch diesen langen, dunklen Korridor hinauszugehen kam nicht in Frage. Wir hatten keine Ahnung, wo wir waren und wo wir Latrinen

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