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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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eingeschlafen waren, ein Stück Brot zu bringen. Und sie sollten so leise wie möglich sein, um nicht den Verdacht eines zufällig Vorü-bergehenden zu erregen. Wir waren so hungrig. Was war das für ein Fest! Frisches Weißbrot mit Butter und Zucker! Zehn Monate lang hatten wir als Ration für vierundzwanzig Stunden nur trockenes Schwarzbrot bekommen, ein Viertel so groß wie eine dieser dicken Scheiben, und jetzt hatten wir eine riesige Menge davon. Ich schaute in die zweite Schachtel, sie war ebenfalls bis zum Rand gefüllt mit diesen wunderbaren Broten. Ich überlegte, ob ich die schlafenden Kinder wecken sollte, damit sie ihren Anteil bekämen, entschied mich aber dagegen. Schlafen bedeutete Vergessen, die Brote konnten warten, bis sie aufwachten. Max, Bram und Iesie wollten eine zweite Scheibe Brot, ihr Hunger war nicht zu stillen. Ich ließ sie noch eine Scheibe nehmen, und obwohl noch viele da waren, sagte ich, wir sollten uns lieber noch etwas für morgen aufheben. Als ich ihnen beim Essen zusah, dachte ich, dass ich ab jetzt immer an den heiligen Nikolaus glauben würde. Uns jedenfalls hatte er an seinem Geburtstag glücklich gemacht. Ich machte die Schachtel wieder zu, nachdem ich mein köstliches Brot gegessen hatte, und gesellte mich zu den anderen.
    Es musste jetzt kurz vor Mitternacht sein. Die Kälte drang von draußen in den Schuppen. Lastwagen waren zu hören, die die Straße herunterkamen. Vor dem Schuppen blieben sie stehen, dann kamen zwei SS-Männer und eine Aufseherin herein. Die meisten Kinder wachten auf, einige schliefen aus purer Erschöpfung weiter. Man sagte uns, dass wir auf die Lastwagen steigen sollten. Die Kinder, so grob aus dem Schlaf gerissen, begannen wieder zu weinen. Ich stieg mit vielen kleinen Kindern und Max und Jackie auf den einen Lastwagen. Ich trug unseren Koffer und Max den anderen, den Mama zurückgelassen hatte. Die Letzten, die zu uns heraufkletterten, waren Bram, seine Schwester Bella und Iesie. Bram und Iesie trugen die Schachteln mit den Broten, die ich in der Eile vergessen hatte. Meine Aufmerksamkeit war von den Kleinen in Anspruch genommen worden. Auch die Aufseherin stieg zu uns herauf.
    Der Lastwagen fuhr schnell. Wir hatten keine Ahnung, wohin er uns bringen würde. Die Nacht war stockdunkel, der Mond war hinter Wolken verschwunden. Es war Mitternacht. Niemand sprach, die Kleinen hatten sogar aufgehört zu weinen. Ich bemerkte, dass wir das Lager durch das Haupttor verließen und auf der Straße Richtung Celle fuhren. Doch dann bog der Lastwagen nach links ab, und es schien, als würden wir ziellos im Kreis durch die Heide fahren. Stundenlang fuhren wir so. Was für teuflische Pläne hatten sie mit uns? Der Mond war wieder hinter den Wolken hervorgekommen und durch den offenen Rückteil des Lastwagens konnte ich hinausschauen über die Weite der Lüneburger Heide. Kein Mensch war zu sehen, kein Ton zu hören, nur das Rattern der Lastwagenmotoren unterbrach die tödliche Stille.
    Dann hielten wir an. Die Aufseherin stieg ab und der Fahrer des zweiten Lastwagen kam zu unserem Fahrer. Wir konnten hören, wie sie miteinander diskutierten. Unser Fahrer schien sehr aufgebracht zu sein, wir hörten ihn ein paar Mal »nein, nein« sagen, verstanden aber nicht, um was es ging. Worüber sprachen sie? Wollten sie uns töten? Wir waren ganz still, wir spürten die Gefahr, die uns bedrohte. Nach ungefähr zehn Minuten stieg die Aufseherin wieder zu uns herauf, wir fuhren erneut los. Ich erkannte, dass wir zurückfuhren, auf das Lager zu, und als wir in Bergen-Belsen waren, sah ich, dass wir in Richtung Sternlager gebracht wurden. Doch unser Lastwagen fuhr weiter und bog fast am Lagerende nach links ab, worauf er dann kurz darauf anhielt. Wir mussten absteigen. Die Aufseherin half uns, bis zwei große, starke weibliche Häftlinge erschienen und die Aufgabe übernahmen. Sie trugen Gefangenenkleidung und hatten Tücher um den Kopf gewickelt, um ihre kahlen Schädel zu verbergen. Beim Anblick dieser unheimlichen, knochigen Frauen begannen die Kinder wieder zu weinen.
    Die Kleinen waren völlig durcheinander und schrien vor Angst. Einige klammerten sich an mich, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich sagte ihnen, dass sie keine Angst zu haben brauchten, ich sei ja bei ihnen. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich sie beruhigt hatte. Noch immer an meinen Mantel geklammert, ließen sie mir jetzt ein wenig Bewegungsfreiheit. Der zweite Lastwagen kam und erhellte mit seinen

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