Wir Kinder von Bergen-Belsen
sein.
Die Lastwagen fuhren am Magazin vorbei, und wir konnten Chris erkennen, den fetten diensthabenden SS-Offizier. Neben ihm standen zwei hübsche Frauen aus unserem Lager, die dort arbeiteten. Ich war froh, vertraute Gesichter zu sehen, und winkte ihnen zu. Wir fuhren durch das Tor in den Teil des Lagers, der für die SS reserviert war. Die Lastwagen fuhren langsamer und blieben vor einem Gebäude mit großen Doppeltüren stehen. Man befahl uns, herunterzusteigen. Die größeren Jungen halfen den kleineren Kindern von den Lastwagen. Ich gab Max das Baby, das ich hielt, stieg ebenfalls hinunter und half kleinen Mädchen und Jungen.
Wir wurden in das Gebäude gebracht, das sich als ein Fahrzeugschuppen der SS herausstellte. Als wir eintraten, sahen wir den Koffer, den unsere Mutter mitgenommen hatte, und verstanden, dass man ihnen befohlen hatte, ihr Gepäck hier zurückzulassen. Bald hatten die Kinder das Gepäck ihrer Mütter entdeckt und nahmen es in Besitz.
Nachdem ich den Namen des Babys, das Max noch immer trug, herausgefunden hatte, sagte ich zu Eva, dem ältesten Mädchen, und noch ein paar anderen Kindern, sie sollten den Koffer seiner Mutter finden, da wir ihm dringend die Windeln wechseln müssten. Mit Hilfe einer Decke bauten wir eine Ecke für das Baby, und Max war froh, als ich es ihm aus der Hand nahm. Es war erstaunlich, wie schnell die Kinder den Koffer gefunden hatten, und als Eva ihn aufmachte, entdeckten wir zu unserem Glück noch eine saubere Windel zum Wechseln. Eva bot an, diese Aufgabe zu übernehmen, deshalb konnte ich mich um das andere Baby kümmern. Inzwischen hatten die Kinder auch den Koffer gefunden, der seiner Mutter gehört hatte. Das Baby war etwa zehn Monate alt und gar nicht besonders klein. Zwei etwa zehnjährige Mädchen sagten, sie könnten das Baby wickeln. Ich ließ sie gewähren, denn es gab genug zu erledigen.
Die Kleinen, die schon laufen konnten, hatten alle nasse Hosen und weinten sich die Augen aus. Ich erkundigte mich nach ihren Namen und forderte die etwa Sieben-, Achtjährigen auf, die entsprechenden Koffer zu suchen. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle Sachen sortiert waren, und noch etwas länger, bis alle Kleinen frisch angezogen waren. Als ich die von den Müttern zurückgelassenen Koffer untersuchte, kam ich mir vor wie ein Eindringling, der in den privaten Dingen anderer Leute wühlt, aber ich sagte mir, dass die Mütter bestimmt froh sein würden, wenn sich jemand um ihre Kinder kümmerte. Ich sorgte dafür, dass alle Sachen, auch die schmutzigen, in den richtigen Koffer zurückgelegt wurden.
Wir waren nun schon mindestens zwei Stunden in dem Schuppen. Niemand kümmerte sich um uns, wir waren uns selbst überlassen. Alle waren müde. Seit dem frühen Morgen auf den Beinen, hatten wir weder etwas zu essen noch zu trinken bekommen. Draußen war es kalt und die Dämmerung kam schnell. Am Himmel erschienen der Mond und die Sterne. Als es in der Garage dunkel wurde, bekamen die meisten Kinder an diesem fremden Ort Angst, besonders, weil ihre Mütter nicht hier waren, um sie zu trösten. Sie froren und hatten Hunger.
Tumult brach aus, viele weinten vor Furcht und Entsetzen. Iesie schlug vor, wir sollten alle auf einmal losschreien, und weil wir so verzweifelt waren, versuchten wir es. Auf drei begannen wir alle zu schreien, in der Hoffnung, jemand würde uns hören. Wir taten es so oft, bis unsere Stimmen nicht mehr mitmachten.
Inzwischen war es im Schuppen stockfinster geworden. Das einzige bisschen Licht kam vom Mond und fiel durch das offene Garagentor. Niemand kam zu uns. Wir drängten uns dicht aneinander, verlassen und verloren. Ich tastete mir einen Weg durch die Dunkelheit zum Tor und schaute hinaus. Niemand war zu sehen, die Straße war dunkel. In den Quartieren der SS brannten ein paar Lichter. Die Kinder schrien immer noch herzzerreißend. Das war kein Weinen mehr, es war der Klang der puren Verzweiflung. Innerhalb von zwei Tagen hatten wir unsere Väter und Mütter verloren, und nun, nachdem wir stundenlang allein in der Garage gelassen worden waren, fühlten wir uns von der ganzen Welt vergessen.
Ich saß auf einem unserer Koffer, als zwei Schatten im Tor auftauchten. Mit einer Taschenlampe leuchteten sie in die Garage. Einer der Männer trat herein und knipste das Licht an. Wir müssen einen traurigen Anblick geboten haben. Ungefähr vierzig Kinder drängten sich mit müden, verweinten Gesichtern in einer Ecke zusammen. Da ich vorne stand,
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