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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Urteil zu hören wie ich. Sein Zahnfleisch war ebenfalls zu rot. Bei der Ernährung kein Wunder, wir litten Mangel.
    Die Tür zum Esszimmer ging auf und Schwester Luba kam mit Schwester Hermina von der Inspektion zurück. Sie sagten Herrn Weiss, dass die Gruppe die Baracke bereits verlassen hatte. Widerstrebend erhob er sich. Dann nahm er meine Hände und schaute auf mich herunter.
    »Du bist ein tapferes Mädchen, Hetty«, sagte er. »Ich werde sehen, was ich über deinen Vater herausbekomme, und es dich wissen lassen.«
    Ich wollte nicht, dass er ging. Ich klammerte mich an seine Hände. Aber er löste sich sanft aus meinem Griff, er musste gehen. Die Zahnarztschwester war schon gegangen, deshalb streichelte er uns zum Abschied noch einmal über den Kopf und ging schnell hinaus, um die anderen noch einzuholen.
    Als er gegangen war, fühlten wir uns unendlich verlassen, aber das große Stück Schokolade, das jeder von uns noch besaß, tröstete uns. Ausnahmsweise erlaubte uns Schwester Luba, es zu behalten und zu essen, wann wir es wollten. Aber sie warnte uns auch, es langsam zu tun, denn wir könnten krank werden, wenn wir alles auf einmal verschlingen würden. Bald gingen wir zurück in den Schlafraum, wo wir die Ereignisse des Mittags besprachen. Die älteren Kinder wurden ganz optimistisch, was unsere Zukunft betraf. Seit vielen Monaten waren wir zum ersten Mal mit Menschen von außerhalb des Lagers in Kontakt gekommen. Aber was für ein Theater die SS mit unser aller Hilfe aufgezogen hatte!
    An diesem Tag bekamen wir kein Abendessen, doch das spielte jetzt keine Rolle, denn wir hatten das meiste von unserer Schokolade aufgegessen. Ich besaß noch die Hälfte, und da ich nichts mehr essen konnte, versteckte ich den Rest in meinem Regal für den nächsten Tag.
    Der Besuch der Delegation hatte eine wilde Sehnsucht nach Freiheit in mir geweckt. Die engen Grenzen der Baracke bedrückten mich, deshalb beschloss ich, noch einmal zum Proviantlager zu gehen und mein Glück zu versuchen. Es war Mitte März und das Wetter war sehr mild für diese Jahreszeit. Früh am Morgen schlüpfte ich aus der Baracke, im Lager war es sehr still. Als ich am Leichenhaus vorbeikam, bemerkte ich, dass sich der Leichenberg beträchtlich erhöht hatte, achtete aber nicht mehr besonders darauf. Inzwischen war ich an den Anblick von
    Leichen gewöhnt, an die offenen Augen und die zu einem Grinsen verzerrten offenen Münder. Vielleicht war es ihre Art, zu sagen, dass sie von dem unmenschlichen Leiden und den Entbehrungen des Lagers erlöst waren.
    Ich ging an der Krankenbaracke vorbei und suchte mit den Augen Tante Bet, aber sie war nicht mehr da. Ich wagte nicht, in die Baracke hineinzugehen und nach ihr zu fragen, deshalb ging ich die Reihe der Leichen, die am Straßenrand lagen, entlang, um zu sehen, ob sie unter ihnen war, konnte sie aber nicht entdecken. Eine ganze Weile stand ich da und betrachtete die toten Frauen. Ich war traurig, denn ich war sicher, dass sie gestorben war. Tante Bet war eine sanfte, freundliche Frau gewesen, die für jeden ein Lächeln übrig hatte. Ihr Mann, Onkel Har-rie, der hinter seinem Rücken von den Kindern »Onkel Hase« genannt wurde, war ebenfalls immer freundlich zu uns.
    Ich ging weiter und hatte noch immer einen langen Weg vor mir. Vor den Baracken war niemand zu sehen. Ich kam auch an kleineren Lagerteilen vorbei, eingezäunt wie unsere Baracke. Mir war erzählt worden, dass dort Ungarn lebten. Sie bekamen eine besondere Behandlung. Und dann gab es auch noch die von den anderen getrennten Baracken für die Familien Asscher und Soep.
    Wieder war niemand am Tor, als ich das Frauenlager verließ. Zwischen den Bäumen konnte ich das Badehaus sehen, daneben das Magazin für Kleidung und solche Dinge. Hier arbeiteten polnische Gefangene unter der Kontrolle von Frau Hilde. Wo waren sie alle, fragte ich mich, während ich die Hauptstraße entlangging. Plötzlich entdeckte ich, direkt vor dem SS-Kontrollpunkt, die armselig gebeugte Gestalt eines Häftlings, kaum mehr als ein Skelett in seinem grau gestreiften Anzug, den er trug. Er hielt einen großen Kürbis in Augenhöhe, und zu seinen Füßen war ein Schild, auf dem stand: »Ich habe euch bestoh-len.« Ich hatte in Bergen-Belsen schon viel Schlimmes gesehen, doch das verminderte nicht mein Mitleid mit diesem bedauernswerten Geschöpf. Seine hohlen Wangen und die tief eingesunkenen, glanzlosen Augen erschütterten mich zutiefst.
    Als ich näher kam, konnte

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