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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Eindruck machen. Wenn jemand aus der Delegation uns fragen sollte, ob wir gut behandelt würden, müssten wir Ja sagen. Und wenn sie wissen wollten, ob wir genug zu essen bekamen, müssten wir ebenfalls Ja sagen. Überhaupt wurde uns in den folgenden Tagen ständig gesagt, was wir zu tun und zu lassen hatten. Schwester Hermina sagte, dass wir an dem bestimmten Tag unsere Hauptmahlzeit mittags bekämen.
    Als der Tag endlich kam, bot das Esszimmer einen festlichen Anblick. Auf den langen Tischen lagen Decken und jedes Kind hatte eine dicke, mit Butter geschmierte Scheibe Weißbrot vor sich liegen. Die Tür ging auf und drei Männer und eine Frau betraten den Raum. Sie wurden von Frau Stana begleitet, der Frau Doktor und ein paar anderen aus dem medizinischen Stab.
    Zu unserer großen Überraschung befand sich auch Herr Weiss unter der Gruppe. Wie glücklich ich war, ihn wiederzusehen. Ich saß am Tischende, und wir fanden einen Stuhl, damit Herr Weiss sich zwischen uns setzen konnte. Der Besuch der Delegation fiel zufällig auf das jüdische Pessachfest, und Herr Weiss las aus dem Gebetbuch, das er mitgebracht hatte, einige Passagen vor, bevor wir mit dem Essen begannen. Es gab keine Mazzes, aber das spielte jetzt keine Rolle — wir hatten lebenserhaltendes Weißbrot. Herr Weiss brachte auch eine große Schachtel Schokolade mit, vermutlich eine Spende des Roten Kreuzes für uns. Eine Frau in Schwesternkleidung ging zu ihm hin, nahm ihm die Schachtel aus der Hand und sagte, sie wolle die Schokolade unter den Kindern verteilen. Ich kannte die F'rau. Es war die Krankenschwester, die bei dem mutigen Zahnarzt assistiert hatte. Ich hatte sie damals nicht gemocht und mochte sie nun auch nicht.
    Herr Weiss stellte mir viele Fragen. Waren die Schwestern gut zu uns? Wie verbrachten wir unsere Tage? Ich erzählte ihm, wie wir lebten, und fragte ihn natürlich, ob mein Vater nach Bergen-Belsen zurückgekommen sei. Er sagte, zwanzig Männer seien von Mauthausen zurückgekommen, aber er wisse nicht, wo sie seien.
    »Es ist schwer, das herauszufinden«, sagte er. »Das Häftlingslager ist vom Sternlager durch das Ungarnlager getrennt, das macht es nicht leichter.«
    Aber er versprach mir, es zu versuchen.
    Der Raum war überfüllt. Die Kinder plapperten aufgeregt. Die Gäste der Delegation unterhielten sich mit Schwester Luba und den anderen Schwestern, die strahlend lächelten. Einer der Männer dieser Abordnung sprach Deutsch. Frau Stana stand daneben, um ja kein Wort von dem zu verpassen, was gesprochen wurde.
    Dann kamen die Leute zum Tisch, um sich mit den Kindern zu unterhalten. Einer der Männer fragte mich nach meinem Namen, den er in ein Notizbuch schrieb. Dann wollte er wissen, ob die Lagerleitung uns gut behandelte, ob wir genug zu essen bekamen und ob uns auch niemand schlug.
    Die beiden ersten Fragen beantwortete ich mit Ja, die dritte mit Nein. Der Mann lächelte und schrieb wieder etwas in sein Buch. Dann wurde er gerufen, weil die Gruppe unseren Schlafraum und den Rest der Baracke besichtigen wollte.
    Einige der Räume auf der anderen Seite des Korridors wurden von ein paar rumänischen Frauen benutzt, die erst ein paar Wochen zuvor angekommen waren. Eine von ihnen hatte ein wun derschönes Baby, das ich schon ein paar Mal gesehen hatte. Ich wusste, dass Schwester Luba der Frau und ihrem Kind Essen abgab, obwohl sie unseren Teil der Baracke nicht betreten durften.
    Herr Weiss blieb bei uns, während die anderen ihre Inspektion fortsetzten. Als die Krankenschwester des Zahnarztes zurückkam, stellte er mich ihr vor.
    »Ich kenne sie schon von der Zahnarztpraxis im Sternlager«, sagte ich.
    Die Frau starrte mich an, dann schien sie sich zu erinnern.
    »Ich arbeite nicht mehr im Sternlager«, sagte sie. »Ich bin jetzt für das SS-Krankenhaus verantwortlich.« Und dann befahl sie: »Zeig mir deine Zähne.«
    Ich grinste breit, um meine Schneidezähne sehen zu lassen.
    »Der Zahn sieht nicht schlecht aus«, sagte sie. »Aber die Farbe deines Zahnfleisches gefällt mir nicht. Komm demnächst mal zu mir ins Krankenhaus, ich will sehen, ob ich etwas tun kann.«
    Ich machte den Mund fest zu und beschloss auf der Stelle, diese Frau nicht aufzusuchen. Sie war falsch. Ich wusste, dass ich unter anderen Umständen nie zu ihr gegangen wäre, auch wenn ich alle Zähne verlieren würde. Die Kinder, die uns beobachtet hatten, kamen nun auch an, und die Frau war gezwungen, sich ihre Zähne ebenfalls anzuschauen. Max bekam das gleiche

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