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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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Hunderttausende von Säuglingen zu wenig Muttermilch bekommen, ist verfrühtes Abstillen – die abrupte Beendigung der Brusternährung vor der Zeit. Was im Wesentlichen daran liegt, dass die Schwangerschaften zu rasch aufeinander folgen und dass die Frauen zu schwerer Feldarbeit gezwungen sind.
    Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Kinderzahl von größter Bedeutung. Vor allem im ländlichen Milieu hängt der Status der Frau von der Zahl der Kinder ab, die sie zur Welt bringt. Häufig kommt es dort zu Verstoßungen, Scheidungen und Trennungen und mit ihnen zum Entzug von Kindern in sehr jungen Jahren. In vielen Gesellschaften behält die Familie des Vaters das Kind, das der Mutter schon vor dem Abstillen entzogen werden kann.
    Aboubacar, Baâratou, Saleye Ramatou, Soufiranou und Maraim hatten Glück im Unglück. Diese 14- bis 16-jährigen nigrischen Kinder lebten, von der Noma entstellt, abgeschieden in ihren Behausungen in den Vierteln Karaka-Kara und Jaguundi von Zinder. Ihre Familien versteckten sie, weil sie sich wegen der schrecklichen Verstümmelungen schämten, die ihre Kinder entstellten: die Nase bis zum Nasenbein zerfressen, die Wangen durchlöchert, die Lippen zerstört …
    Die Organisation Sentinelles unterhält eine kleine, aber sehr aktive Delegation in Zinder. Nachdem man ihnen von diesen Kindern erzählt hatte, suchten zwei junge Frauen von Sentinelles die Familien auf. Sie erklärten den Eltern, dass die Entstellung nicht auf irgendeinen Fluch zurückzuführen sei, sondern auf eine Krankheit, deren Auswirkungen sich durch chirurgische Eingriffe zumindest teilweise rückgängig machen ließen. Die Familien stimmten der Überführung ihrer Kinder nach Niamey zu. Ein Minibus brachte sie in das 950 Kilometer entfernte nationale Krankenhaus der Hauptstadt. Dort gaben Professor Servant und sein Team vom Pariser Krankenhaus Saint-Louis diesen Kinder wieder ein menschliches Antlitz.
    Medizinische Teams aus Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Deutschland und anderen Ländern, von den Médecins du monde organisiert, praktizieren dort drei oder vier Mal im Jahr ein oder zwei Wochen lang. Auch an anderen Krankenhäusern – in Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Senegal, Nigeria, aber auch in Laos 78 – werden Noma-Opfer von Ärzten aus Europa und Amerika unentgeltlich operiert.
    Die Stiftung Winds of Hope und die internationale Föderation No-Noma 79 leisten außerordentliche Arbeit bei der Entdeckung, Pflege, plastischen Chirurgie, der erforderlichen Nachsorge und Mittelbeschaffung, genauso wie andere NGOs, beispielsweise das von David Mort gegründete Hilfswerk SOS-Enfants, Opération Sourire, Facing Africa, Hilfsaktion Noma, etc.
    Zahlreiche NGOs versuchten, die Entdeckung der Opfer zu organisieren, und finanzieren die plastisch-rekonstruktive Behandlung, wenn sie denn noch möglich ist. Der senegalesische Musiker Youssou N’Dour und andere einflussreiche Persönlichkeiten beteiligen sich an dem Kampf, indem sie die Schirmherrschaft übernehmen. Doch so begrüßenswert und wertvoll der Beitrag dieser Nichtregierungsorganisationen auch ist, so kommt ihr Wirken doch nur einer winzigen Minderheit der verstümmelten Kinder zugute.
    Es ist offenkundig, dass nur die WHO und die Regierungen der von der Krankheit betroffenen Staaten dem Martyrium der von der Noma heimgesuchten Kinder wirklich ein Ende setzen könnten.
    Doch die Gleichgültigkeit der WHO und der Staatschefs ist unermesslich.
    So hat die WHO den Kampf gegen die Noma aus unerfindlichen Gründen an ihr Regionalbüro Afrika delegiert. Diese Entscheidung ist aus zwei Gründen absurd: Erstens, die Noma tritt auch in Südasien und Lateinamerika auf; zweitens, das Regionalbüro Afrika hat bislang eine unglaubliche Passivität gegenüber den Hunderttausenden von Noma-Opfern an den Tag gelegt. 80
    Laut Satzung ist die Weltbank verpflichtet, die extreme Armut und ihre Folgen zu bekämpfen, legt aber dieselbe Gleichgültigkeit an den Tag. Alexander Fieger schreibt: »Noma ist der auffälligste Index für extreme Armut, aber die Weltbank schenkt ihr keinerlei Aufmerksamkeit.« 81 Der gemeinsam von Weltbank und WHO herausgegebene Bericht »The Burden of Disease« erwähnt die Krankheit mit keinem Wort.
    Der Auftrag der WHO sieht vor, dass sie sich nur mit zwei Arten von Krankheiten beschäftigt: denen, die ansteckend sind und drohen, Epidemien auszulösen, und denen, bei denen ein Mitgliedsland um Hilfe bittet.
    Die Noma ist weder ansteckend, noch hat

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