Wir lassen sie verhungern
2008 baten ihn die Gewerkschafter und Genossenschafter der Länder des südlichen, östlichen und mittleren Afrikas, die Panafrikanische Plattform der Bauern Afrikas (Plateforme panafricaine des producteurs d’Afrique) zu organisieren. Diese kontinentale Gewerkschaft von Landwirten, Viehzüchtern und Fischern ist heute der Hauptansprechpartner für die Kommissare der Europäischen Union in Brüssel, die nationalen afrikanischen Regierungen und die wichtigsten zwischenstaatlichen, mit der Landwirtschaft befassten Organisationen: Weltbank, IWF, IFAD (Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung), FAO und Welthandelsorganisation.
Von Zeit zu Zeit begegne ich Cissokho auf dem Kennedy-Flughafen in New York. Auch kommt er ziemlich häufig nach Genf.
Dort arbeitet er mit Jean Feyder zusammen, einem mutigen Mann, der seit 2005 Botschafter des Großherzogtums Luxemburg am europäischen Sitz der Vereinten Nationen ist. 63
2007 wurde Jean Feyder zum Vorsitzenden des Komitees für Handel und Entwicklung der Welthandelsorganisation (WTO) ernannt. Dieses Komitee versucht, die Interessen der 50 ärmsten Länder gegenüber den Industriestaaten zu wahren, die 81 Prozent des Welthandels kontrollieren. Seit 2009 ist Jean Feyder auch Präsident des »Welthandels- und Entwicklungsrats« (TDB) der UNCTAD (Welthandels- und Entwicklungskonferenz). In diesen beiden Positionen hat er den bescheidenen Bauern aus Bamba Thialène zu seinem wichtigsten Berater gemacht.
Gegenüber den Mächtigen der Agrarwelt nimmt Cissokho seine Funktion mit Entschlossenheit, Kompetenz … und Humor wahr. Für den Kampf gegen die Trägheit der afrikanischen Regierungen und die zwischenstaatlichen Institutionen, diese Söldner der Oligarchien des globalisierten Finanzkapitals, braucht es den Mut, die Ausdauer eines Sisyphos. Zwischen 1980 und 2004 ist der Anteil der Kredite der staatlichen – multilateralen wie bilateralen – Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft von 18 auf 4 Prozent zurückgegangen …
Eric Hobsbawm schreibt: »Nichts schärft den Verstand mehr als die Niederlage.«
Jedes Mal, wenn ich Mamadou Cissokho treffe, ist sein Verstand schärfer geworden. Aber die endlosen Sitzungen in Genf, Brüssel und New York – dieser Kampf gegen die agro-alimentären Branchenriesen und die westlichen Regierungen, die ihnen zu Diensten sind, hat Cissokho nicht gerade optimistisch gemacht.
In letzter Zeit fand ich ihn niedergeschlagen, nachdenklich, traurig und besorgt.
Der Titel des einzigen Buchs, das er bisher veröffentlicht hat, bringt seinen gegenwärtigen Gemütszustand zum Ausdruck: Dieu n’est pas un paysan , »Gott ist kein Bauer«. 64
60 Erklärung von Bern, Newsletter vom 1. Februar 2009.
61 Wie bekannt, sieht das erste Millennium-Entwicklungsziel vor, die Zahl der Menschen, die unter extremem Hunger leiden, bis 2015 zu halbieren.
62 Weltorganisation für Meteorologie (WMO), »Average Yield of Rainfed Crops and Irrigated Crops«, Genf, 2006.
63 Jean Feyder, Mordshunger . Wer profitiert vom Elend der armen Länder , a. a. O.
64 Mamadou Cissokho, Dieu n’est pas un paysan , Paris, Présence Africaine, 2009.
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Die Noma-Tragödie
In den vorausgehenden Kapiteln haben wir uns mit den unmittelbaren Auswirkungen von Unter- und Mangelernährung beschäftigt. Doch die Menschen können auch durch die Folgen dieser Zustände zugrunde gerichtet werden, durch die »Hungerkrankheiten«.
Diese Krankheiten sind zahlreich. Sie reichen von Kwashiorkor und Blindheit durch Vitamin-A-Mangel bis zur Noma, die das Gesicht von Kindern zerstört.
Noma leitet sich vom griechischen Wort nomein , »zerfressen«, ab. Der wissenschaftliche Name ist Cancrum oris . Es handelt sich um einen rasch um sich greifenden gangranösen Prozess, der sich im Mund entwickelt und das Gesichtsgewebe zerstört. Die Hauptursache ist Mangelernährung.
Noma zerfrisst das Gesicht von Kindern – vorwiegend im Alter zwischen einem und sechs Jahren –, die an Unter- oder Mangelernährung leiden.
Jedes Lebewesen beherbergt in seinem Mund eine große Zahl von Mikroorganismen, darunter viele Bakterien. Bei normaler Ernährung und einem Mindestmaß an Mundhygiene werden diese Keime vom Immunsystem des Körpers in Schach gehalten.
Doch wenn das Immunsystem durch längere Unter- oder Mangelernährung geschwächt ist, kann die Mundflora außer Kontrolle geraten, pathogen werden und die letzten Abwehrmechanismen überwinden.
Die Krankheit durchläuft drei aufeinander
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